Wenn es einen Menschen gibt, der mit ansteckender Begeisterung über seine Arbeitsumgebung spricht, dann ist es Ivan Djordjević. Der Wiener ist Manager beim „New Work“-Unternehmen Tele Haase. Mit rund 90 Mitarbeitenden fertigt dieser Betrieb in Wiens 23. Bezirk elektronische Produkte, unter anderem im Steuerungs- und Überwachungsbereich. International bekannt ist Tele Haase aber auch für seinen ungewöhnlichen Führungs- und Entscheidungsstil. Immer wieder kommen Delegationen, zuletzt aus den USA und Taiwan, um sich das österreichische Beispiel anzusehen. Aber was genau macht Tele Haase anders?
„Bei uns hat man erkannt, dass traditionelle hierarchische Modelle den kreativen Fluss und die Eigenverantwortung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einschränken können“, erklärt Djordjević, der schon seine Masterarbeit über die Auswirkung demokratischer Mitbestimmung auf die Motivation der Mitarbeitenden schrieb. „Wir haben also experimentiert mit verschiedenen alternativen Modellen, inspiriert von Prinzipien der agilen Führung und Holokratie, die Transparenz schaffen und Eigenverantwortung und kollaboratives Arbeiten betonen.“
Prinzip der kollegialen Führung
Stehen bei Tele Haase Entscheidungen an, egal, ob sie die strategische Ausrichtung, die Produktentwicklung oder das Personalwesen betreffen, entscheiden sogenannte Kompetenzkreise darüber, wie vorgegangen wird. Kompetenzkreise deshalb, weil hier zunächst ohne ein Oben oder Unten gemeinsam entschieden wird, wer in einer Angelegenheit die größte Expertise hat – alle zwei Jahre wird eine Person entsprechend zum oder zur „Kreisverantwortlichen“ gewählt und stellt ihren konkreten Plan zur Umsetzung von Entscheidungen vor. „Prinzip der kollegialen Führung“ nennt sich diese Vorgangsweise auch.
Was sind aus seiner Erfahrung nun die Vorteile der so umgestellten Strukturen? „Die Zufriedenheit in den Teams ist gestiegen. Mehr Mitbestimmung führt zu einer höheren Identifikation mit dem Unternehmen. Zudem sind unsere Entscheidungen, seit wir verschiedene Perspektiven einbeziehen, besser geworden. Wir finden fundiertere Lösungen. Und: Die einzelnen Teams können flexibler entscheiden, denn sie handeln eigenverantwortlich. In einem dynamischen Marktfeld fördert das die Agilität. Wir merken, dass die Produktivität steigt, wenn die MitarbeiterInnen sich geschätzt und ernst genommen fühlen.“
Aber verlangsamt es nicht auch die Prozesse, wenn so viele mitreden? Tatsächlich können Entscheidungen seit der Umstellung länger dauern, sagt Djordjević. Oft sei es gar nicht so leicht, einen Konsens zu finden. Gelegentlich muss im Zweifel auch neu verhandelt werden, wer genau für eine Frage zuständig ist. Doch all das werde aufgewogen, denn: „Ist eine Entscheidung einmal getroffen, wird sie von allen akzeptiert.“
Dass der Entscheidungsstil von Tele Haase auch dem Unternehmen nützt, zeigt die Bilanz: „In den letzten vier, fünf Jahren beobachten wir eine Umsatzsteigerung, während rund um uns die Branche eher stagniert. Ich führe das schon auf unser Führungsmodell zurück“, sagt Ivan Djordjević – und da ist sie wieder, diese offensichtliche Freude, es anders zu machen. Anders und gut.
Partizipative Unternehmensstruktur: Tele Haase
Das Unternehmen Tele Haase wurde 1963 gegründet und hat sich mittlerweile auf Steuer- und Überwachungstechnologien spezialisiert. Der Wandel hin zu einer demokratischen Organisationsstruktur fand um das Jahr 2015 statt, als das Unternehmen das klassische hierarchische Managementmodell durch eine partizipative, demokratische Struktur ersetzte.
Genossenschaft: MILA
Eine weitere Unternehmensform mit flachen Hierarchien ist die Genossenschaft: Hier schließen sich Menschen zusammen, um gemeinsam wirtschaftliche, soziale und/oder kulturelle Ziele zu verfolgen. Ein funktionierendes Beispiel ist der Wiener Mitmachsupermarkt MILA.

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