Ich war immer der Meinung: Führen muss man persönlich«, sagt Christina Schweiger. Sie leitet den Studienbereich Human Resources & Organization an der FHWien der WKW und führt ein fünfköpfiges Team. Ein wöchentliches Meeting im Büro für alle war für sie Standard. Dann kam Corona.
So wie Christina Schweiger geht es vielen Führungskräften. Meist waren Online-Meetings die zweite Wahl – und wurden nur dann eingesetzt, wenn es gar nicht anders ging. Doch warum eigentlich? Heinz Peter Wallner, Führungskräftetrainer beim Hernstein Institut, sieht Führungskräfte immer mit Widersprüchen konfrontiert: Sie sollen Struktur geben, aber Freiräume schaffen und bewegen sich zwischen Vertrauen und Kontrolle. Im persönlichen Kontakt scheinen Führungskräfte traditionell besser mit diesen Spannungen zurechtzukommen. »Beim remote Führen schlagen all diese Widersprüche intensiver im Führungsalltag auf«, so Heinz Peter Wallner.
Struktur vs. Loslassen
»Traditionell wird über Ziele und Steuerung, über Kontrolle und starre Strukturen geführt«, sagt Christina Schweiger. Heute sei jedoch Ambidextrie, also Beidhändigkeit, gefragt. Sprich: Klare Regeln und Strukturen bieten, andererseits Menschen tun lassen. Will man ein Team, das möglichst eigenständig arbeitet, gilt es, die Selbstorganisation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken. »Dafür braucht man die Fähigkeit zu empowern«, wie Christina Schweiger meint, »die Führungskraft wird zum Coach und führt über die gemeinsame Vision.« Spätestens heute, wo die Mitglieder des Teams in alle Himmelsrichtungen verstreut sind, ist es höchste Zeit, loszulassen – gleichzeitig aber Bedingungen zu schaffen, unter denen Produktivität gedeiht. Ein guter Weg könnte ein agiler Führungsstil sein. Dieser baut auf direkte Kommunikation, weniger Kontrollen und schnelle Entscheidungen – so wird ein Unternehmen flexibel und wendig. Christina Schweiger schlägt »Daily Stand-ups« via Zoom vor, also kurze tägliche Teambesprechungen, damit alle auf dem aktuellen Stand sind. Und natürlich sollte eine Führungskraft mit gutem Beispiel vorangehen: »Ich muss Selbstorganisation vorleben «, erklärt Christina Schweiger. Dazu gehört auch, im Homeoffice Ruhezeiten einzuhalten und offline zu gehen. »Nur so kann ich glaubwürdig eine Mitarbeiterin, die sich mit dem Abschalten schwertut, dazu bringen, nach 18 Uhr keine Mails mehr zu beantworten.«
Sicherheitslücke Zahnbürste
Für die tägliche Arbeit benötigt das Team auch daheim die entsprechende Hard- und Software und einen verlässlichen Internet-Anschluss. Dafür hat an sich das Unternehmen zu sorgen. »Private Netzwerke, Verschlüsselungen und praktikable Cloud-Lösungen – all das ist bisher von Führungskräften oft vernachlässigt worden«, meint Walter Mayrhofer, Head of Research Center Digital Economy an der FHWien der WKW. Dazu kommt, dass WLAN-Verbindungen zuhause generell weniger geschützt sind als im Büroumfeld: »Meine elektrische Zahnbürste, die sich mit dem WLAN verbinden kann, stellt eine potenzielle Pforte für Eindringlinge dar.« Mayrhofer plädiert für den Ausbau eines technischen Supports, der auch im Homeoffice zur Verfügung steht. Apropos: Nicht alle Menschen haben daheim ein Büro. Heinz Peter Wallner erzählt: »Viele habe ich in ihren Küchen gesehen. Andere sitzen im Kinderzimmer, weil sie nur dort in Ruhe arbeiten können.« Körpergerechte Sitzgelegenheiten für stundenlange Computerarbeit findet man da wie dort eher selten. Eine mögliche Lösung: Die Bürostühle nach Hause liefern lassen.
Vertrauen vs. Verpflichtung
Ohne Vertrauen geht gar nichts, so alle Interviewten unisono. Doch fehlt der persönliche Kontakt, wird es schwierig. Führungskräften geht das »G’spür« dafür verloren, ob alle noch an einem Strang ziehen, also sich nach wie vor dem gemeinsamen Projekt oder Ziel verpflichtet fühlen. Und tatsächlich sieht Walter Mayrhofer darin das zentrale Problem des remote Führens. »Im Büro läuft mir der Mitarbeiter, der eine bestimmte Aufgabe zu erledigen hat, ständig über den Weg. Automatisch erinnern wir uns beide daran.« Zuhause gibt es keinen zufälligen Kontakt, auch nicht zu den Kolleginnen und Kollegen. Als Ersatz schlagen Mayrhofer und Schweiger Software wie Trello vor, die Projektbeteiligte mit Erinnerungsfunktionen unterstützt. Trotzdem braucht es die soziale Interaktion. Da sind sich alle einig. Wenn sie allerdings fehlt, »ist es ein Vorteil, dass Machtspiele und Klatsch großteils wegfallen«, so Schweiger. Sie kann dem Online-Führen Positives abgewinnen: »Die technischen Tools habe ich jetzt alle im Griff. Und mein Vertrauen in mein Team ist gewachsen.«
»Vieles geht online sogar besser«
Strategieberater und Hernstein-Trainer Heinz Peter Wallner über störende Führungskräfte, Kontrollsucht und Fake-Pendeln.
Wie managen Führungskräfte Leadership auf Distanz?
Heinz Peter Wallner: Es gibt Führungskräfte, die das auch in räumlicher Distanz ausgezeichnet schaffen. Andere, die es nicht gewohnt sind und vor dem digitalen Raum zurückschrecken, vernachlässigen die Führungskommunikation, also ihre Mitarbeitergespräche oder Ziel- und Konfliktbesprechungen. Gute Führungskräfte machen all das auch online, und es funktioniert. Wenn ich wählen muss, ob digitale oder gar keine Treffen, ist die Antwort wohl klar. Vieles geht online sogar besser, anderes nicht – dafür findet man Ersatz. Im Remote-Alltag übernehmen in vielen Teams die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unbemerkt und informell einen Teil der Führungsfunktion. Beim Führen auf Distanz wird nämlich schnell sichtbar, wenn die Führungskraft nicht in ihrer Rolle ist. Führungskräfte spüren in jedem Fall, dass sie an direkter Einflussmöglichkeit verlieren – das macht viele unsicher. Manche werden kontrollsüchtig und rufen dauernd alle an. Ich frage dann: »Wer hat das Problem, das du durch deine Kontrolle lösen willst?« In den meisten Fällen lautet die Antwort: »Ich selbst.« Das ist eine Einladung zur Selbstreflexion.
Was können Führungskräfte tun, um remote gut zu führen?
Wallner: Als Führungskraft sollte ich eine transparente Arbeitsstruktur schaffen, die für mein Team passt. Die Zusammenarbeit im Büro funktioniert ja sonst dank eingespielter Gewohnheiten: Man ruft sich schnell was zu, legt einen Zettel auf den Tisch, wirft kurz eine Frage in den Raum. Wenn du daheim schnell eine Entscheidung oder Antwort brauchst, fehlt all das. Es liegt an den Führungskräften, Ersatz dafür zu schaffen. Dafür müssen sie ihr Team gut einschätzen können: Selbstorganisation liegt nicht allen, viele brauchen ein soziales Umfeld, um gut zu arbeiten. Zu viel Kontrolle hingegen wirkt demotivierend. Es ist Aufgabe der Führungskraft, herauszufinden, was das Team braucht. Hier zeigen sich ihre Qualitäten: Ermöglicht sie gutes Arbeiten, indem sie die nötige Technik zur Verfügung stellt? Bietet sie klare Regeln und Strukturen an? Und setzt sie die nötigen Online-Tools ein? Das alles gehört zum professionellen digitalen Führen.
Und wie geht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Homeoffice?
Wallner: Manche laufen zu Höchstleistungen auf, wenn die Führungskraft nicht stört und sie konzentriert arbeiten können, andere fühlen sich verloren, weil plötzlich die Struktur fehlt. Wenn es keine klare Vereinbarung gibt, dass ich um 8 Uhr beginnen muss, sitze ich vielleicht um 9 Uhr noch im Pyjama da. Nicht alle schaffen es, sich selbst eine Struktur zu geben.
Was hilft, um im Homeoffice klare Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen?
Wallner: Ein bestimmtes Ritual einzuhalten, beispielsweise das Fake-Pendeln: Nach dem Frühstück anziehen und einmal um den Block, als würde man ins Büro gehen. Und nach der Arbeit wieder, in die andere Richtung.
Was hat sich für Sie als Trainer verändert?
Wallner: Bei den Online-Trainings sehe ich zwar Unterschiede zu Präsenz, aber sie funktionieren ebenso gut. Ich war überrascht, welche genialen Apps es gibt – manches geht online sogar besser als im Seminarraum. Durch die Vielfalt an Tools ist ein gemeinsames, kreatives und sehr dynamisches Arbeiten möglich, das auch Spaß macht.
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