Die ukrainische Stadt Charkiw am 24. Februar 2022: Ein Polizeiauto nähert sich mit Blaulicht. Über den Lautsprecher brüllt jemand russische Befehle. Dass es sich um die Aufforderung handelt, stehen zu bleiben, können Armin Arbeiter und sein Kameramann Jürg Christandl nur vermuten. Kurz danach stehen vier Polizisten bei ihrem Auto und halten ihnen Pistolen an die Schläfen. „Austrian journalists, please don’t shoot“, bringen die beiden „Kurier“-Reporter heraus und zeigen ihre Reisepässe. Das beruhigt die Gesetzeshüter. „Sorry guys, we thought you were Russian spies“, sagen sie entschuldigend. „Das war die einzige mulmige Erfahrung mit Leuten vor Ort“, erzählt Arbeiter. Heute schmunzelt er darüber genauso wie über die Autopanne in der ukrainischen „Pampa“ am Vortag.
Humor und starke Nerven kann der 31-Jährige als Kriegsberichterstatter brauchen. Zwar sind prekäre Situationen für ihn nichts Neues, „aber die Ukraine ist der erste Kriegseinsatz in dem Sinn, dass beide Seiten aufeinander schießen und wir uns in belagerten Städten befinden“, betont er. So gefährlich das ist, für den Absolventen des Bachelor-Studiengangs Journalismus & Medienmanagement an der FHWien der WKW erfüllt sich damit ein Traum: „2013 habe ich als Milizsoldat im Golan beobachtet, dass nur von einer einzigen Zeitung wirklich jemand vor Ort war. Die restlichen JournalistInnen haben in Abwesenheit eher hämisch über die Soldaten im Einsatz und deren Feigheit berichtet“, meint er. „Deshalb wollte ich diesen Beruf ergreifen: Um vor Ort zu sein, so gut es geht.
Rascher Aufbruch Richtung Krieg
Als Wladimir Putin am 21. Februar 2022 in einer Fernsehansprache den Angriff auf die Ukraine ankündigte, stand für Armin Arbeiter fest: Wir müssen hin, und zwar sofort! Er informierte seine Freundin und die Eltern und registrierte sich beim Außenamt. Einen Tag später saß er mit dem Fotografen Christandl im Auto Richtung Ukraine. Wohin genau die Reise gehen und wie lange sie dauern würde, war ungewiss.
Flexibles Agieren gehört zum Alltag eines Kriegsreporters dazu. „Natürlich schmieden wir jeden Abend Pläne“, berichtet der Außenpolitik-Experte. „Allerdings nur, um sie um halb sechs Uhr morgens bei der ersten Zigarette und einem Kaffee über den Haufen zu werfen.“ Als beispielsweise ein Interview mit ukrainischen Soldaten kurzfristig verschoben wurde, brachen die Österreicher spontan nach Charkiw auf, statt zehn Tage auf einen neuen Termin zu warten.
Dem eigenen Bauchgefühl vertrauen
Es ist eine Mischung aus Bauchgefühl und Erfahrung, auf die der Wahlwiener beim Finden seiner Geschichten vertraut. „Wir fahren in eine Stadt und reden mit den Leuten am Straßenrand“, schildert er das Vorgehen, das sich bei seiner zweiten Ukraine-Reise im Oktober ebenfalls bewährt hat. „Man muss sich die zwei von hundert suchen, die durch ihren Blick signalisieren, dass sie reden wollen“, hat er von Jürg Christandl gelernt, der als Fotograf „noch mehr mit dem Unwillen der Leute“ konfrontiert ist. In der Ukraine seien einige aufgrund der schlechten Erfahrungen in der Sowjetzeit Medien gegenüber misstrauisch eingestellt. Größere Hürden stellen jedoch die Sprache und die Bürokratie dar. Während das Verständigungsproblem dank engagierter Einheimischer und Google als Übersetzer zu überwinden ist, hilft bei Letzterer nur Geduld. „Wir wollten Feuerwehrleute in Nikolaev bei einem Einsatz nach einem Bombeneinschlag begleiten“, erzählt Arbeiter, „sie waren einverstanden, mussten aber zuvor den Chef des Feuerwehrdepartments anrufen. Es ging bis nach Kiew. Erst nach drei Stunden war klar, dass wir dabei sein dürfen.“
Ruhe behalten trotz Artilleriefeuer
Bei all dem Warten muss es am Ende schnell gehen: „Verdammt, in 60 Minuten ist Redaktionsschluss!“, heißt es oft im letzten Moment. Meistens vergehen die 12-Stunden-Tage für den Journalisten wie im Flug: „Dann stehe ich mit dem Smartphone da und tippe meine Geschichte.“ Unter Zeitdruck zu schreiben habe er an der FHWien gelernt. Insofern ist er für seine Ausbildung „extrem dankbar“. Wie man trotz Artilleriefeuer Ruhe bewahrt, steht hingegen auf keinem Stundenplan. Dass es dem Kriegsreporter gelingt, hat mit seinem Arbeitsethos zu tun: „Anfangs habe ich immer ein mulmiges Gefühl, wenn ich an Minenfeldern vorbei in eine neue Stadt fahre“, gibt er zu. „Aber dann denke ich sofort: Ich bin hier, um zu berichten. Das braucht so viel Energie und Fokus, dass ich anderes ausblenden kann.“
Ablenkung scheint auch das Patentrezept vieler Ukrainer zu sein: „In den Städten gehen die Menschen mit einem Grundvertrauen ihrer Beschäftigung nach“, bewundert Arbeiter ihre Resilienz. „Als in Kiew Wasser und Strom großflächig ausgefallen waren, ging ein Typ mit Generator herum und ließ die Leute ihre Handys aufladen.“ Anders sieht die Situation in Dörfern und Städten an der Front aus. Da versorgen die Journalisten dann auch die Bewohner des zerbombten Arbeiterviertels in Charkiw mit Essen, spenden überschüssiges Benzin und verschenken warme Kleidung. „Wo es möglich ist, leisten wir Hilfe“, meint Arbeiter und stellt im selben Atemzug klar: „Mein Job ist aber vorrangig, zu berichten. Ich bin nicht hier, um mein Gewissen zu beruhigen.“
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