Von welchen Tieren kann man lernen, wie man ein Museum managt?
Katrin Vohland: An Ökosystemen zeigt sich, dass jeder eine klare Aufgabe braucht und dass Kommunikation entscheidend ist. Darwins Idee, dass die Fittesten überleben, hat viel mit Kommunikation zu tun, weil Kooperation und Gemeinschaft essenziell sind, um Nachkommen zu produzieren und großzuziehen. Auch im Museum ist Kommunikation total wichtig – aber ein Balanceakt. Bei WissenschaftlerInnen ist es häufig so: Alle möchten alles wissen, aber niemand hat Zeit für ein Meeting (lacht).
Was machen Sie dann?
Vohland: Wir strukturieren vieles neu, werden gleichzeitig das Haus architektonisch verändern. Zum Beispiel soll es barrierefreier werden und SchülerInnen und Kindergartenkindern Platz bieten, sich zu entspannen, sich auf den Museumsbesuch vorzubereiten. Unsere wissenschaftlichen Schätze müssen leichter zugänglich werden, beispielsweise über digitale Zugänge – wir sind eine international bedeutende Forschungseinrichtung.
Sie selbst haben das NHM als Forscherin kennengelernt …
Vohland: Mein erster Anknüpfungspunkt waren Tausendfüßler. Ich habe für meine Promotion über Artbildung und Biodiversität im Amazonasgebiet geforscht, Tausendfüßler zählten zu den Modellorganismen. Ich bin dafür den Amazonas mit Booten hinaufgefahren, das letzte Stück als Beifahrerin auf einem Motorrad. In Peru habe ich mit Bauern Tausendfüßler gesucht. Für die wissenschaftliche Auswertung habe ich mit amerikanischen und russischen WissenschaftlerInnen zusammengearbeitet – und mit dem NHM. Viele wichtige Publikationen, beispielsweise von Attems, kamen aus Wien; das war Anfang 2000, ich konnte damals die Referenzarten via Post ausborgen. So ein Austausch ist enorm wichtig für die Forschung. Auch unsere KuratorInnen müssen international und interdisziplinär unterwegs sein.
Warum ist Ihnen das Interdisziplinäre so wichtig?
Vohland: Wie gehen wir mit Natur um? Wie hinterlassen wir die Erde, wie geht die Evolution weiter? Diese Fragen sind wahnsinnig aktuell und wir haben eine breite Basis, sie zu beantworten. Man braucht dazu unterschiedliche Fachrichtungen. Aus den Naturwissenschaften kann man Messdaten ableiten, um das Klimasystem zu verstehen. Aber dieses wird auch von individuellen Entscheidungen geprägt, da spielen etwa soziale Systeme und kulturelle Werte eine große Rolle.
Wie hat sich Forschung verändert?
Vohland: Eine Ressource, die heute vielen fehlt, ist Zeit. Für meine Diplomarbeit habe ich mir angeschaut, wie Marienkäfer Blattläuse fressen. Die Marienkäferlarven haben die Blattläuse angepikst und ausgesaugt. Um das herauszufinden, habe ich im Büro ein paar Wochen lang jeden Tag stundenlang Marienkäfer beobachtet. Das war eine sehr statistische, zeitaufwendige Arbeit – und diese Zeit fehlt heute vielen ForscherInnen. Deshalb sind unsere Bürger-WissenschaftlerInnen sehr wichtig.
Sie haben die Citizen-Science-Bewegung maßgeblich geprägt. Wie kam es dazu?
Vohland: Forschende BürgerInnen beobachten für die Wissenschaft vor Ort die Natur. So bekommt die Wissenschaft wichtige Informationen, gleichzeitig stärkt dieses Engagement das Verständnis der BürgerInnen für die Wissenschaft. Viele der Projekte haben auch eine transformative Wirkung: Man sieht, wie sich Schadstoffe auf Pflanzen oder Bautätigkeiten auf Tierpopulationen auswirken. Das verändert möglicherweise das Verhalten der Umwelt gegenüber oder den Konsum. Und man merkt: Forschung macht auch Spaß. Viele Menschen arbeiten bei uns ehrenamtlich im Haus.
Wie wollen Sie die Kommunikation weiterentwickeln?
Vohland: Wir wollen verstärkt reflektieren, wie wirksam das ist, was wir tun. In einem Kooperationsprojekt mit der Central European University Wien wollen wir untersuchen, auf welche innovativen Arten BesucherInnen mit unseren Objekten in Kontakt kommen. Uns interessiert auch, welches Wissen unsere BesucherInnen mit nach Hause nehmen, welche Wirkung unsere Formate haben.
Was ist das Ziel?
Vohland: Viele kommen nur zweimal im Leben: einmal mit der Schule, ein zweites Mal mit den Enkelkindern. Das wollen wir ändern. Und wir wollen unseren BesucherInnen während aller Lebensphasen Verständnis für die Natur, die Evolution und die Wissenschaft mitgeben. Das ist sehr aufwendig. Und wichtig. Uns besuchen Tausende SchülerInnen pro Jahr – was wir hier bieten, muss einfach sehr gut sein.
Sie haben eine extrem breite Zielgruppe: Dreijährige, SeniorInnen, Laien, WissenschaftlerInnen …
Vohland: Ja. Deshalb ist es auch ein cooler Job (lacht). Wir haben eine sehr gute Presseabteilung. Vieles, etwa bei der Arbeit mit Social Media, ist eine Ressourcenfrage. Da muss man Strategien entwickeln und abwägen: Okay, wollen wir TikTok, sollen wir auch Mastodon dazunehmen? Da muss man reflektieren: Wer ist Zielgruppe, was wollen wir erreichen? Ich gehe da sehr analytisch vor.
Als Kind fanden Sie Biologie „superspannend“, haben aber eine Elektronik-Ausbildung begonnen. Warum?
Vohland: Biologie fand ich tatsächlich schon immer spannend, weil sie so komplex ist. Ich konnte aber kein Berufsbild damit verbinden. Dieses Risiko war mir zu groß. Und ich interessiere mich für Physik, vor allem Atomphysik macht mir Spaß. Insofern war die – letztlich nicht beendete – Ausbildung zur Industrieelektronikerin nicht abwegig. Schlussendlich habe ich es doch versucht und einen Studienplatz für Biologie bekommen.
Hat der Ausflug in die Elektrotechnik Ihr Faible fürs Interdisziplinäre geprägt?
Vohland: Das hatte ich vorher schon. In der Schule hatte ich Biologie und Kunst als Leistungsfächer. Zu Beginn meiner Tätigkeit als Biologin habe ich manchmal gedacht: Die Gonopoden, also die Geschlechtsorgane zum Beispiel der Tausendfüßler, haben so skurrile Formen. Wenn das mit der Biologie nicht klappt, werde ich abstrakte Künstlerin.
Es hat gut geklappt mit Ihnen und der Biologie. Wie wird man so erfolgreich?
Vohland: Spaß und Freude an der Sache und ein sehr großes Interesse für das Thema: Das hilft sicher. Ich bin zudem zäh – und habe auch Glück gehabt. Im Nachhinein sehen Karrieren oft geradlinig aus, aber das täuscht meistens. Ich bin zum Beispiel keine Professorin für Biologie, weil ich schwanger geworden bin. Das war stressig, ich konnte aber dranbleiben, weil mich mein Mann sehr gut unterstützt hat. Für den Einstieg in den Beruf braucht man Unterstützung und ein Ziel. Und man darf nicht zu viel darauf geben, was andere sagen.
Das NHM gibt es seit 1889. Sie sind die erste Frau an der Spitze. Gibt es für Frauen in der Wissenschaft spezielle Hürden?
Vohland: Klar. Es gibt viele implizite Mechanismen. Etwa bei Peer-Review- Verfahren: Studien zeigen, dass Papers von Frauen, wenn die Namen draufstehen, wesentlich schlechter beurteilt werden als bei anonymen Beurteilungen. Da gibt es einen Bias in den Köpfen. Oder der Vorwurf, Frauen in Spitzenpositionen seien nur Quotenfrauen – so etwas müssen sich Männer nicht anhören. Da braucht es eine kritische Masse. Es hilft, wenn andere Frauen in der Branche ähnliche Jobs haben.
Thema Klimawandel: Schaffen wir das noch?
Vohland: Wir müssen es schaffen. Hätten wir früher Maßnahmen ergriffen, hätten moderatere Maßnahmen genügt. Je länger zu wenig passiert, umso drastischere Einschnitte werden notwendig. Als Museum wollen wir Innovationen kommunizieren. Etwa, welche Hölzer sich zum Bauen eignen, welche Vorteile diese im Vergleich zu Beton haben. Ich glaube, viele Leute wenden sich vom Thema ab, weil es so komplex ist. Aber es braucht die Bevölkerung, wir können dieses Problem nur gemeinsam und mit großen Verhaltensänderungen lösen.
AktivistInnen der „Letzten Generation“ haben sich im NHM an Dinosaurier geklebt. Wie haben Sie das erlebt?
Vohland: Ich habe mit den AktivistInnen diskutiert und glaube nach wie vor, dass derartige Aktionen nicht zielführend sind. Ich bin für den Klimaschutz, aber warum klebt man sich an Dinosaurier an?
Als Studentin waren Sie Umweltaktivistin bei Robin Wood. Wie sollten Studierende protestieren?
Vohland: Mit positiven Visionen. Wie kann eine autofreie, klimaneutrale, lebenswerte Stadt ausschauen, die gerechte Mobilität ermöglicht? Da gibt es spannende, praktikable Entwürfe. Studierende können an solchen Visionen arbeiten. Da hat man langfristig mehr davon, als gegen etwas zu sein. Wir zeigen im Museum Lösungsansätze auf. Und arbeiten intensiv daran, unseren eigenen CO2-Fußabdruck zu verringern. Wir werden unsere Photovoltaikanlage ausbauen. Und wir machen Geothermie-Probebohrungen, um Erdwärme zu nutzen. Wir wollen Nachhaltigkeit nicht nur erforschen, sondern auch leben.
Generell: Was ist Wissenschaft?
Vohland: Auf Basis transparenter Daten mit standardisierten, nachvollziehbaren Methoden nach Erkenntnis streben. Nicht nach Wahrheit, eher nach einem Verstehen. Weil: Wahrheit, was soll das sein? Essenziell ist auch Kommunikation. Wenn man etwas nur für sich macht, ist es noch keine Forschung.
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