Es heißt, Sie schlafen unter dem ZIB-Moderationstisch und man könne Sie jederzeit für eine Ihrer punktgenauen Analysen aufwecken. Durch Covid-19 mussten Sie Ihren Schlafplatz aufgeben. Macht es beim Kommentieren einen Unterschied, ob man mit dem Interviewpartner am gleichen Tisch sitzt?
Peter Filzmaier: Aus dem ZIB-Studio wurde ich ja leider verbannt. Nun werde ich aus einem anderen Studio zugeschaltet, das fünf Stockwerke und zwei Gebäudeteile vom ZIB-Studio entfernt ist. Für die Kommunikation macht das einen Unterschied, denn im direkten Gespräch ist nicht nur das Zeitgefühl besser, man merkt auch an der Körpersprache des Interviewers, wenn es zu lange wird.
Wie bereiten Sie sich auf Analysen vor?
Filzmaier: Inhaltliche Vorbereitung ist alles, auch wenn mehr als 90 Prozent der Dinge dann ohnehin niemand so genau wissen will. Das gilt für eine Analyse in der ZIB 2, aber umso mehr für Wahlen. Ein Wahlabend ist tatsächlich hohe Schule. Wir bereiten uns akribisch auf jene Szenarien vor, die wir für am wahrscheinlichsten halten, denken aber auch unwahrscheinlichere Wahlausgänge durch. Anhand der ersten Hochrechnung um 17 Uhr errechnen wir unsere Forschungsdaten zu den Wahlmotiven. Das ist eine Extremsituation. Daher arbeitet immer ein bewährtes Team von Journalisten und Wissenschaftlern zusammen, immer in Kooperation mit der gleichen Grafikagentur. Learning on the Job wäre da keine gute Idee.
Lassen sich präzise Analyse und Schlagfertigkeit trainieren oder sind Sie ein Naturtalent?
Filzmaier: Ich bin wahrscheinlich der Schrecken eines jeden Rhetoriktrainers, weil ich nie einen hatte. In die ORF-Auftritte bin ich 1998 anlässlich des Amtsenthebungsverfahrens gegen US-Präsident Bill Clinton regelrecht hineingestolpert. Armin Wolf, damals noch bei der ZIB 3, erinnerte sich an eines meiner Uni-Seminare zur US-Politik und lud mich daraufhin als Experten in die Sendung ein. Das wahre Thema, für das die Zuschauer sich am meisten interessierten, war natürlich, was Clinton und Lewinsky miteinander gemacht haben. Dazu konnte ich leider nichts sagen. Mein Beruf als Universitätslehrer bringt Vorteile für die Analysen: Viel lesen und schreiben ist Teil unseres Jobs. Irgendwann hat man so einen Datenfundus im Kopf, dass dieser einfach aus dem Gedächtnis abrufbar ist.
Wie gelingt Ihnen der Wechsel zwischen Polit- und Wissenschaftskommunikation?
Filzmaier: Medienarbeit und Wissenschaft sind wie Yin und Yang. Genau dieser Ausgleich gefällt mir sehr. Ich habe aufgrund meiner vielen Tätigkeiten die universitäre Forschung etwas reduziert, würde sie aber nie missen wollen. Die Medienarbeit allein wäre mir zu tagesaktuell, zu schnelllebig. Umgekehrt kann die Wissenschaftskommunikation manchmal zu langweilig werden.
Ihr Herz schlägt nicht nur für Medien und Wissenschaft, sondern auch für den Sport. Darüber haben Sie auch ein Buch geschrieben, mit der Begründung, dass ein Polit-Buch zu wenig Überraschungen bereithielte. Ist die Politik wirklich so vorhersehbar?
Filzmaier: Vom Ibiza-Video bis zu den aktuellen Emoji-gespickten WhatsApp-Nachrichten haben auch wir Politikwissenschaftler gelernt: Es gibt nichts, was es nicht gibt in der österreichischen Innenpolitik. Die Anlassfälle ändern sich, aber grundsätzliche Themen begleiten mich seit vielen Jahren, etwa der Verlust des Vertrauens in die Politik. Die Mehrheit der Bevölkerung hat etwa beim Thema Postenschacher resigniert und sagt: Das ist bei uns eben so. Ein Viertel bis ein Drittel der Österreicher sind latent demokratieskeptisch. Das sind keine deklarierten Antidemokraten, sondern Menschen, deren Politik-Vertrauen so gering ist, dass sie Zweifel an der Demokratie haben. Das ist bedenklich und gefährlich.
Was kann Sie in der Politik dennoch überraschen?
Filzmaier: Die unglaubliche Banalität in der Kommunikation: Sei es die Großmannssucht von HC Strache im Ibiza-Video, die Interventionsversuche eines Glücksspielmanagers via WhatsApp oder die Herzibussi-Emojis in den Chats rund um die ÖBAG – diese Kommunikation habe ich mir naiverweise anders vorgestellt. Die Banalität hat mich überrascht und nachdenklich gestimmt.
Sie haben dies auch entsprechend analysiert. Gibt es Momente, in denen Sie sich fragen, ob ein Kommentar zu scharfzüngig war?
Filzmaier: Ich bin nach jeder Sendung unzufrieden, weil ich zu milde war, zu scharf analysiert habe oder weil ich noch etwas hätte sagen wollen, aber die Zeit nicht gereicht hat. Manchmal passiert ein Fehler und dann muss man auch dazu stehen. Mein negativer Höhepunkt war eine Prozentrechnung, die ich live auf Sendung begonnen hatte. Noch während des Rechnens habe ich gemerkt, dass sich das einfach nicht ausgeht, denn am Ende kam ich auf 120 Prozent – ein mathematisches Phänomen! Aus der Kiste bin ich nicht mehr rausgekommen.
Die Fehlerkultur in der Politik und im Berufsleben scheint in Österreich nicht besonders ausgeprägt.
Filzmaier: In den USA wird jenen, die zuerst beruflich scheitern und später erfolgreich sind, Respekt gezollt. Schließlich haben sie aus den Fehlern gelernt. In Österreich ist das leider nicht so. Dabei zeugt das Eingestehen von Fehlern von Charakterstärke. Natürlich sollte man das nicht täglich tun müssen, aber es kommt besser bei den Menschen an, als man glaubt. Angela Merkel hat massiv gepunktet, als sie sich für ihren Fehler in der Corona-Krisenkommunikation entschuldigt hat. In den Politikwissenschaften gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass einen ein solches Eingeständnis die nächste Wahl kostet. Vor allem, wenn sie wie in Österreich planmäßig erst 2024 stattfindet.
Auch in Österreich sind in der Covid-19-Krisenkommunikation viele Fehler passiert.
Filzmaier: Ich verstehe zwar nichts von Epidemiologie – das überlasse ich den Hobby-Virologen, die vorher Hobby-Fußballtrainer waren –, aber genug von Kommunikation, sodass es Teil meines Jobs ist, genau darauf hinzuweisen. Die Fehler sind für jeden offensichtlich. Da wäre zum Beispiel die viel zu späte Einbindung von Experten oder das Abgeben von zeitlichen Prognosen. So verlockend diese auch sein mögen, gehalten haben sie fast nie. Während man im Wahlkampf diejenigen, die einen sowieso nicht wählen, auch nicht überzeugen muss, muss man als Regierung in der Pandemie aber genau diejenigen erreichen, die einem nicht glauben. Daran ist man gescheitert. Wobei ich mir selbst auch nicht einbilde, ein Patentrezept zu haben.
Sind nicht viele Wähler frustriert, dass es in der Politik so selten klare Ansagen gibt? Was kommt denn besser an: die Teflon-PolitikerInnen, an denen alles abprallt, oder jene, die sich mit markigen Sagern auch einmal exponieren?
Filzmaier: Ein Politiker hat entsprechendes Medientraining und muss sich im Regelfall auch noch mit der eigenen Partei, dem Koalitionspartner und Gremien abstimmen, bevor er oder sie sich öffentlich äußert. Aber bitte nicht so, dass man sich nur noch in Teflon-Stehsätze flüchtet. Politiker wären gut beraten, manche Interviewtermine auszulassen, wenn sie eh nicht vorhaben, etwas zu sagen. Es gibt nichts Verräterischeres als den Anfang eines Politikerinterviews mit den Worten »Ich sage Ihnen ganz offen …«. Da weiß man mit Sicherheit, dass danach ein Allgemeinplatz, eine Beschönigung, eine Einschränkung kommt.
Sie waren lange Zeit passionierter Läufer – eine Leidenschaft, die Sie mit vielen Politikern und Spitzenmanagern teilen. Gehört ein Marathon dazu, wenn man Zielstrebigkeit beweisen will?
Filzmaier: Ich bin nur noch Gelegenheitsläufer und der Marathon wird immer die Unvollendete meines Lebens bleiben. Die Bestzeiten, die ausgehend von meinen Halbmarathonzeiten möglich gewesen wären, konnte ich teilweise durch mein eigenes Unvermögen, teilweise durch banale berufliche Terminprobleme nicht annähernd laufen. Bei einem Marathon in Wien, bei dem es schon in der Früh über 20 Grad hatte, habe ich den Intelligenztest nicht bestanden, weil ich mich auf Bestzeiten konzentriert habe. Geendet hat es kläglich bei Kilometer 32 im Prater. Für Politiker ist ein Marathon natürlich Teil einer Inszenierung, denn wer das Training durchzieht, beweist Konsequenz und Zielstrebigkeit.
Ist denn diese Inszenierung als Einzelkämpfer überhaupt noch zeitgemäß?
Filzmaier: Wir haben ja auch Hobbyfußballer unter den Politikern, sogar Volksmusiker gibt es. Die Botschaft ist aber immer gleich: Ich bin einer von euch. Diese Art der politischen Kommunikation hat sich in den 90er-Jahren professionalisiert. Wichtig ist aber die Authentizität. Habe ich seit meiner Kindheit nie mehr gegen einen Ball getreten, sollte ich mich nicht als Fußballer inszenieren – auch wenn sich Mannschaftssport dazu eignet, Teamgeist zu demonstrieren. Zu elitär sollte es aber nicht sein. Von Polo rate ich ab.
Kommentieren Sie zuhause auch und ist es da schwierig, mit der eigenen Meinung hinter dem Berg zu halten?
Filzmaier: Es ist schwierig, mit mir gemeinsam Fernsehsendungen anzuschauen. Bei Politdiskussionen analysiere ich schon nach den ersten Sätzen, weil ich zu wissen meine, in welche Richtung eine Aussage geht. Und beim Sport fiebere ich für meine Mannschaft, lamentiere wegen der ungerechten Behandlung. Die Zustände zuhause sind bei Sportübertragungen unhaltbar: einerseits weil meine Tochter aus Teenagerrebellion natürlich zur anderen Mannschaft halten muss, und andererseits, weil sie deutsche Staatsbürgerin ist. Ihr größter Triumph war ein WM-Qualifikationsspiel Österreich gegen Deutschland. Wir saßen im deutschen Sektor und sie hatte mich mit deutschen Fanutensilien ausgestattet. Deutschland hat 2:1 gewonnen und ich musste zufrieden wirken, weil rund um mich Hunderte Deutsche jubelten, darunter viele junge Männer, die auffallend muskulös, nicht mehr ganz nüchtern und nicht sehr humorvoll ausgesehen haben. Da wollte ich meine Österreich-Anhängerschaft nicht outen.
Aber mit einem erzielten Tor kann man doch auch als Österreicher ganz zufrieden sein.
Filzmaier: Nein, einfach nein! Zufrieden kann man dann sein, wenn die Deutschen kein Tor schießen.
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