Die Hotels hatten aufgrund der Corona-Krise eine gefühlte Ewigkeit geschlossen. Wie oft sind Sie deshalb schweißgebadet aufgewacht?
Norbert Kettner: Eigentlich gar nicht. So gehe ich nicht mit Krisen um. Obwohl es frustrierend ist, dass wir im Moment wieder genau dort stehen, wo wir vor einem Jahr schon einmal waren. Ich mache mir um Europa Sorgen. Die großen Wirtschaftsmächte USA und China investieren Billionen in Infrastrukturmaßnahmen. Aus Europa höre ich diesbezüglich nichts. Persönlich bin ich in diesem Jahr endlich einmal aus meinem Dauer-Jetlag rausgekommen, obwohl mir das Reisen wirklich abgeht.
Was sollte man aus der Krise lernen?
Kettner: Dass man Teamwork braucht. Selbstbewusstsein und Entscheidungsfreude, ja. Aber die totale Egozentrik bringt uns nicht weiter.
Wie wird sich unsere Art zu reisen verändern?
Kettner: Ich glaube, das Reisen wird mit einem ziemlichen Big Bang zurück kommen. Ich hoffe, dass bei aller Bedeutung des Flugverkehrs die Renaissance der Bahn anhalten wird, dass Nachhaltigkeit und sozial verträglicher Tourismus als Thema bleiben. Ich sehe es als einen Meilenstein, dass die großen Kreuzfahrtschiffe nicht mehr nach Venedig reinfahren dürfen. Das wäre wahrscheinlich ohne die Pandemie nicht passiert. Der Städtetourismus war ja, so absurd das klingen mag, immer schon nachhaltiger als andere Formen des Tourismus.
Warum das?
Kettner: In Wien steigt man sofort in ein öffentliches Verkehrsmittel und kommt überall hin. Man braucht kein eigenes Auto. Das Klima wird in Europa in den Städten gerettet. Der durchschnittliche Mensch in Wien emittiert nur halb so viel CO2 wie der Rest des Landes.
Als Sie 2007 als Chef des Wien-Tourismus antraten, stiegen die Übernachtungszahlen schlagartig an. Wie haben Sie das gemacht?
Kettner: Das war ein globaler Trend, Städtetourismus boomte weltweit – ich konnte nur einen kleinen Beitrag leisten. Damals war es angesagt, sich Agenturen zu holen, die dann erklärten, was eine Stadt ist. Das wollte ich nie. Mir war immer klar, Wien gehört den Bewohnerinnen und Bewohnern. Die prägen ihre Stadt. Wir können diese Botschaften nur verdichten und transportieren. Unser Mindset war deshalb: Du verneigst dich vor der Historie, fällst vor ihr aber nicht auf die Knie. Sei authentisch, aber nicht provinziell. Sei weltläufig, aber nicht verwechselbar. Ich wollte konsequent international denken und zugleich mit der heimischen Branche kooperieren; wollte meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Freiraum ermöglichen, Verantwortung übergeben, aber sie nicht alleine lassen.
Waren Sie schon immer ein Teamplayer?
Kettner: Das musste ich erst lernen. In meinen frühen 30ern war ich geprägt von der größenwahnsinnigen Idee, immer härter als alle anderen zu arbeiten. Ich kam aus der politischen Pressearbeit, der vermeintliche Bedeutungsverlust beim Weggang war anfangs schwierig zu verkraften. Wenn du unmittelbar in der Politik arbeitest, erlebst du eine enorme Kurzatmigkeit. Projekte, die Monate oder Jahre dauern, kommen dort kaum vor. Dadurch kann eine Geringachtung von operativer Arbeit entstehen. Als Geschäftsführer musst du aber auch Routinearbeit machen, die wichtig ist, damit das Projekt ein Erfolg wird.
Was war eigentlich Ihr ursprünglicher Berufswunsch?
Kettner: Ich habe begonnen, Jus zu studieren – aus einem idealistischen Beweggrund. Ich wollte wissen, wie ein Staat funktioniert. Ich habe mein Studium aber dann abgebrochen, bin in der PR gelandet und war später Gründungsgeschäftsführer der Wirtschaftsförderinstitution departure. Kommunikation und Marketing waren immer ein zentrales Thema für mich. Wenn ich heute auf meine PR-Zeit zurückblicke, staune ich, wie anders damals gearbeitet wurde. Heute müssen viel mehr Kommunikationskanäle gleichzeitig bedient werden.
Sie haben Wien nicht nur als kulturaffine Metropole, sondern auch als weltoffene, liberale, queere Stadt positioniert.
Kettner: Mein Vorbild war der berühmte Ikea-Katalog. Dort standen in einer Küche zwei Männer oder zwei Frauen. Für Eingeweihte war die Botschaft klar. Ich mochte diese Subtilität, die sagte: Homosexualität ist kein Thema. Ich denke, wir waren im WienTourismus auch Wegbereiter, dies als Selbstverständlichkeit zu leben.
Sie haben sich selbst früh geoutet. Wollten Sie damit auch ein Vorbild für andere sein?
Kettner: Das war eher eine ungewollte Vorbildwirkung. Ich habe mein Outing nie als heldenhafte Tat gesehen, eher als eine Art von Psychohygiene. Man wäre in einem politischen Umfeld dadurch erpressbar gewesen. Das wollte ich vom Tisch haben. Da war ich auch von meiner Mutter geprägt: Sie fand es immer okay, einen schwulen Sohn zu haben, musste aber auch nichts Besonderes daraus machen.
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