Erst einmal Gratulation zur Romy, mit der Sie für Ihre Leistungen in der »ZIB« und den »Sommergesprächen« ausgezeichnet wurden. Wie groß war die Freude?
Lou Lorenz-Dittlbacher: Sehr groß. Man hat es mir vielleicht nicht so angemerkt, weil ich nicht wirklich damit gerechnet habe. Wenn man die anderen nominierten KollegInnen kennt und schätzt, kann man ja schon froh sein, überhaupt unter den Nominierten zu sein.
Ihre Dankesrede nutzten Sie zu einem Appell in Richtung des ORF-Generaldirektors Roland Weißmann. Man habe gerade im letzten Jahr gesehen, wie wertvoll »freie Berichterstattung« sei. Sehen Sie die Freiheit des öffentlichen Rundfunks gefährdet?
Lorenz-Dittlbacher: Man muss sehr, sehr wachsam sein. Das sag’ ich nach 23 Jahren ORF. Es gab keinen Hinweis, dass sich irgendetwas ändern würde, seit Roland Weißmann Generaldirektor ist. Allerdings gibt es viele finanzielle Herausforderungen. Wir wissen alle: Die Inflationsrate ist sehr hoch, es gibt große Probleme bei den Energiepreisen, der Wirtschaft geht es nicht gut – derlei wirkt sich auch auf das ORF-Budget aus. Eine schwache Wirtschaftsentwicklung schlägt sich auf die Werbepreise nieder. Wir haben die journalistische Unabhängigkeit stets nach außen verteidigt und Erfolge erzielt, aber es gab immer wieder Momente, in denen wir große Sorge hatten, weil die Idee, unsere Freiheit zu beschneiden, im Raum stand – Stichwort Ibiza. Dazu kam es zum Glück nicht. Ich habe in der »ZIB 2« und auch jetzt immer frei arbeiten dürfen. Und das wollen wir auch weiterhin.
Sie sind Lehrbeauftragte im Studienbereich Journalism & Media Management an der FHWien der WKW. Was genau lehren Sie dort?
Lorenz-Dittlbacher: (lacht) Alles, was gefragt ist. Die Vorlesung heißt »Themenfindung und Aufbau«. Salopp gesagt geht es darum, was eine Geschichte ist und was man macht, wenn man eine Geschichte gefunden hat.
Haben Sie ein Beispiel?
Lorenz-Dittlbacher: Ja. Der Ukraine-Krieg allein ist noch keine Geschichte, sondern ein Thema. Aus diesem Thema kann ich Geschichten entwickeln, es z. B. politisch aufziehen und mich fragen, warum Putin das macht. Ich kann mich fragen, welcher Politikertyp Wolodimir Selenskyj ist oder wie es den Menschen im Land geht. Ich kann Fluchtbewegungen beleuchten. Das alles sind Geschichten. Ich will die jungen JournalistInnen begleiten, damit sie ihre Kreativität ausleben können und auch das Werkzeug dazu haben. APA-Recherche, Re-Check, Double-Check – eine Arbeitsweise, die wir ORF-JournalistInnen in der DNA haben, weil wir das täglich praktizieren. Man muss immer präsent haben, woher die Information kommt und welches Interesse die Quelle hat, sie weiterzugeben. Es geht darum, diese Grundbausteine im Tun zu vermitteln, denn man lernt einen Beruf am besten, indem man ihn ausübt. Das macht mir riesige Freude.
Wenn Sie an Ihre eigene Studienzeit zurückdenken: Inwiefern hat sich die Ausbildung geändert?
Lorenz-Dittlbacher: Zunächst einmal gab es lange keine richtige Ausbildung, weil ein Publizistikstudium ist in Wahrheit keine Ausbildung zur Journalistin. Ich hatte das Glück, an der Universität Wien den Hochschulkurs für Europajournalismus zu besuchen, der war dem heutigen FH-Studium ähnlich, nur kürzer. Die jungen Menschen, die heute an der FHWien der WKW Journalismus lernen, bekommen sehr gute Grundkenntnisse vermittelt. Und man sieht einander immer zwei, drei Mal im Leben: Ein ehemaliger Studierender hat vor drei Jahren ein Praktikum in der »ZIB 2« absolviert, jetzt ist er Redakteur bei ORF III. Schön zu sehen, dass das passiert. Wenn man eine so fundierte Ausbildung hat, rutscht man viel leichter in eine Redaktion rein, weil man schon etwas kann und nicht von vorne anfangen muss.
Tickt die neue Generation von JournalistInnen anders als Ihre?
Lorenz-Dittlbacher: Was mich erschüttert, ist: Als ich begann, wollte fast jede/r angehende JournalistIn in die Innenpolitik. Wenn ich dagegen heute frage, wer in die Innenpolitik will, geht keine Hand hoch. Außenpolitik, Kultur, Sport – das ist es, wovon viele träumen. Das Thema Innenpolitik scheint für junge Leute abgenutzt zu sein. Die vielen Skandale haben sie zermürbt. Das ist erschreckend, weil es unheimlich wichtig ist, die Angelegenheiten im eigenen Land genauso gut zu beleuchten wie anderswo.
In Interviews mit Worthülsen um sich zu werfen, ist unter PolitikerInnen mittlerweile verbreitet. Der Informationswert mancher Gespräche tendiert gegen null. Wie geht man als Journalistin mit solchen Situationen um?
Lorenz-Dittlbacher: Letztens habe ich mit einem renommierten, mittlerweile in Pension befindlichen Journalisten darüber diskutiert. Er meinte, man müsse ein Interview abbrechen, wenn immer nur die gleiche Antwort kommt. Ich bin anderer Auffassung: Ich halte die Fortführung des Gesprächs für aussagekräftiger als einen Abbruch, weil die ZuschauerInnen merken, dass die Bereitschaft fehlt, sich auf ein bestimmtes Thema einzulassen. Mir muss ja niemand antworten. Aber den WählerInnen ist man die Antwort schuldig.
Gibt es journalistische Kniffe, wie man jemanden aus der Reserve lockt?
Lorenz-Dittlbacher: Man muss sich überraschende Fragen überlegen, Fragen, von denen man glaubt, darauf könne kein Baustein als Antwort kommen. Aber auch die beste Journalistin der Welt kann niemanden zwingen, eine konkrete Antwort zu geben. Das ist kein Folterstuhl. Ich stelle Fragen. Wenn eine Antwort kommt, ist es gut. Wenn keine kommt, muss ich klarmachen, dass das nicht meine Schuld ist. Gutes Interviewhandwerk heißt: Sich vorzubereiten, überraschende Fragen zu stellen, dranzubleiben, nicht lockerzulassen und sich nicht einschüchtern zu lassen – das sind die wichtigsten Faktoren, die man berücksichtigen muss.
Hilft es, jemanden damit zu konfrontieren, dass das jetzt keine Antwort auf die gestellte Frage war?
Lorenz-Dittlbacher: Das kann schon helfen, aber wenn ich es jeden Tag in jedem Interview mache, wird es inflationär. Es gibt auch Interviewpartner, die das geschickter machen als andere und wo es nicht so klar ist, dass sie eigentlich nicht geantwortet haben. Da macht es mehr Sinn, herauszustreichen, dass das keine Antwort auf die Frage war, und auf die Frage zurückzukommen. Aber wenn es klar ist, brauch’ ich’s nicht dazuzusagen. So wach und so aufmerksam sind unsere ZuschauerInnen schon, dass sie das selber merken. Es besteht sonst die Gefahr, dass sich ein Interview irgendwann nur noch im Kreis dreht.
Seit 1. Jänner 2022 sind Sie Chefredakteurin des Kultur- und Informationssenders ORF III. Wie war Ihr Start? Was sind Ihre ersten Eindrücke?
Lorenz-Dittlbacher: Das war ein spektakulärer Start. Am 22. Dezember hab’ ich noch die »ZIB 2« moderiert, zum Jahreswechsel kam schon der neue Job. Der Plan war, im Jänner einen Impfschwerpunkt zu setzen. Nach den Semesterferien wollten wir uns dann in aller Ruhe auf die Entwicklung und Weiterentwicklung der Formate konzentrieren. Doch es kam anders als gedacht: Aus den Semesterferien kam ich mit Corona zurück und aus der Quarantäne zog ich quasi mit dem ganzen Team direkt in den Ukraine-Krieg. Zur Reflexion blieb kaum Zeit. Aber gleichzeitig gab uns das die Chance, einander so gut kennenzulernen, wie wir das sonst nie geschafft hätten. Das Team ist großartig. Ich habe noch nie in so einem Bienenstock gearbeitet. Das sind sehr viele junge Menschen, die meisten unter 30, die sehr viel wollen, unglaublich solidarisch sind und mich jeden Tag aufs Neue beeindrucken.
Sie haben als neue Chefredakteurin von ORF III auch zusätzliche Management-Agenden übernommen. Wie war die Umstellung?
Lorenz-Dittlbacher: Sagen wir so: Ich habe viele Vorgesetzte gehabt in meiner bisherigen Karriere, und da gab es Dinge, die mir gefallen haben, und Dinge, die mir weniger gut gefallen haben. Das schult schon. Aber mit diesem Team ist es leicht. Ich konnte auch neue Leute engagieren – alles richtige Entscheidungen, denn jede und jeder Einzelne hat mich überzeugt. Jetzt kommen wir in den Prozess, zu überlegen, woran wir feilen können und was wir weiter ausbauen können. Das ist so toll wie herausfordernd.
ORF III ist der Spartenkanal für Kultur und Bildung. Böse Zungen behaupten, er sei für all das zuständig, was ORF 1 und 2 an gesetzlich definiertem Kultur- und Bildungsauftrag nicht schaffen oder nicht schaffen wollen. Sehen Sie das als Rucksack oder als Chance?
Lorenz-Dittlbacher: Ausschließlich als Chance. Ich litt viele Jahre darunter, zu wenig Zeit zu haben. Zu wenig Zeit für Interviews, zu wenig Sendefläche. Wir haben hier sehr viel Sendefläche, wo wir viel ausprobieren und weiterentwickeln können. Wir haben die Zeit, Dinge einzuordnen, Sachverhalte mit ExpertInnen zu erörtern und aufzuarbeiten. Das ist einfach großartig und einer der Hauptgründe, warum ich das machen wollte.
Pandemie, Krise, Krieg. Vielen Menschen ist das zu viel geworden und sie haben sich aus den Medien zurückgezogen. Erfordern die aktuellen Umstände einen speziellen, behutsameren Zugang oder muss JournalistInnen erst mal egal sein, wie das Publikum auf die bereitgestellte Information reagiert?
Lorenz-Dittlbacher: Ich verstehe den Gedanken gut. Jeder braucht auch mal Ruhe, um wieder zu sich zu kommen. Das Publikum braucht das und mir geht es manchmal auch so. Im Team war mir wichtig, dass alle Ruhezeiten einhalten können, um zu verdauen, was wir da den ganzen Tag machen. Das sind junge Menschen und das ist die erste globale Krise, die sie erleben. Ich verstehe das also, kann aber die Welt nicht ändern. Sie ist, wie sie ist, und ich kann nur alle bitten, dass sie nicht wegschauen. Wir dürfen uns nicht sattsehen an diesem Leid. Denn sonst schaut irgendwann keiner mehr hin. Wir müssen die Welt abbilden, sorgfältig und behutsam. Das ist unsere Pflicht.
Angesichts der Bilder, die uns aus der Ukraine erreichen, verschlägt es einem vor dem Fernseher oft den Atem. Gab es Momente, wo Sie selbst nicht mehr konnten?
Lorenz-Dittlbacher: Ja, natürlich. Wenn es die nicht gäbe, würde irgendetwas als Mensch bei mir nicht stimmen. Das gehört zum Beruf dazu, dass man damit umgehen kann – genauso wie ein Arzt lernen muss, dass er nicht alle Menschen heilen kann. Aber trotzdem erwarte ich mir von einem Arzt, dass er empathisch bleibt. Ich werde oft gefragt: »Berührt Sie das noch?« Ja, selbstverständlich. Der Kosovokrieg hat mich berührt, der Afghanistankrieg hat mich berührt, dieser Krieg berührt mich auch. Ich bin berührbar. Ich muss selber erreichbar sein und mit dem Publikum gehen. Nur so, wenn ich auch selbst erkenne, wie furchtbar das ist, kann ich beim Krieg die richtigen Bilder auswählen und den richtigen Ton finden.
Angenommen, Sie würden Ihr jüngeres Ich, das gerade vom Lehramtsstudium auf Journalismus umsattelt, treffen. Was würden Sie sich selbst mit auf den Weg geben?
Lorenz-Dittlbacher: Wenn man anfangs für wenig viel arbeitet – das ist leider immer noch so –, sollte man sich nicht darüber Gedanken machen, ob man dadurch jemandem etwas schenkt, sondern, was man selber mitnehmen kann. Das Allerwichtigste ist: Ganz viel Erfahrung sammeln. Ich war zu ungeduldig und habe mir möglicherweise auch zu wenig selbst vertraut. »Hab ein bisschen mehr Geduld«, würde ich mir sagen. »Vertrau dir! Glaub an dich!«
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