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STUDIO! Ausgabe 3/2021

Auftrag: aufdecken!

Florian Skrabal startete mit Gleichgesinnten das investigative Journalismusprojekt DOSSIER – ohne ein echtes Geschäftsmodell zu haben. Nach Jahren der Entbehrungen und Erfolge schien heuer das Ende nahe. Doch das Blatt wendete sich.

Text: Florian Streb

»Im Jänner hat es danach ausgesehen, als würden wir nicht über den Juni kommen«, blickt Florian Skrabal auf den Anfang dieses Jahres zurück. Miete, Versicherung, Diensthandys, Gehälter – das alles schien mit den Einnahmen nicht finanzierbar. Sollte dies das Ende von DOSSIER sein?

Am journalistischen Erfolg mangelte es jedenfalls nicht. DOSSIER legte sich schon ab seiner ersten Veröffentlichung 2012 mit ganz Großen an. Öffentliche Inserate waren damals das Thema – und wie man sich mit ihnen Medien gefügig macht. Es folgten Berichte über die Zustände in Asylheimen, den Waffenhersteller Glock, Glücksspiel-Konzerne, die Macht großer Supermarktketten, Red Bull, die Kronen Zeitung, die OMV. Die Enthüllungen fanden von Beginn an auch in etablierten Medien Resonanz. »Die erste Veröffentlichung zu Inseraten hat uns innerhalb von zwei Tagen 8.000 Euro an Spenden gebracht«, erinnert sich Skrabal. Schon bald folgten Auszeichnungen wie der Axel-Springer-Preis für junge Journalisten oder der Robert-Hochner-Preis und viel Anerkennung von KollegInnen anderer Redaktionen.

 

© Tom Linecker

Zeit für gründliche Recherche

Skrabals Gründungsidee schien aufzugehen: Abseits der tagesaktuellen Berichterstattung relevante Themen aufgreifen, die zu wenig Beachtung finden – und dazu tiefgründig recherchieren. »Die Idee wurde aus der Not heraus geboren«, sagt der Investigativjournalist, »dass inzwischen selbst bei Qualitätsmedien so wenig Zeit und Geld für Recherche da ist, dass oft sogar eine Dienstreise in die Steiermark zu teuer ist.« Zu diesem Zeitpunkt studierte er noch Journalismus und Medienmanagement an der FHWien der WKW. »In den USA entwickelten sich damals mehrere Non-Profit-Investigativzentren«, berichtet Skrabal. Das Thema griff er für seine Masterarbeit auf – und noch bevor die Arbeit abgegeben war, setzte er die Idee mit einigen MitstreiterInnen in die Tat um. Nur eines fehlte: ein ausgereifter Businessplan. »Das war die größte Schwachstelle«, gesteht der Mitgründer von DOSSIER. Man wollte von Spenden und Lehraufträgen leben. Auf Presseförderung hatte man keine Chance, Werbung war und ist unerwünscht: Man wollte und will sich nicht von Anzeigenkunden abhängig machen.

© Tom Linecker

»Selbstausbeutende« Redaktion

Große Entscheidungen trifft das Team gemeinsam, aber nicht zwingend einstimmig: »Die sechs Angestellten sind auch Gesellschafter«, sagt Skrabal, der als Geschäftsführer fungiert. Gemeinsam entschied man, Auftragsrecherchen etwa für TV-Sendungen wie »Bist du deppert« oder »Gute Nacht Österreich« zu machen, gemeinsam entschied man, ein Mitgliedschaftsmodell auf- und 2019 eine Bezahlschranke einzubauen. Die Paywall und die ersten gedruckten Magazine lockten immerhin genug Mitglieder, um DOSSIER über Wasser zu halten. Viel mehr aber auch nicht. »Alle im Kernteam waren jahrelang selbstausbeutend tätig«, weiß Skrabal.

Das Problem Geldmangel hatten und haben freilich auch andere Medien. »Es liegen zwei Jahrzehnte Gratiskultur beim Medienkonsum hinter uns«, analysiert der Unternehmer. »Davor hat jeder sein bezahltes Zeitungsabo gehabt.« Für journalistische Start-ups sei es aber besonders schwierig: »Die aktuelle medienpolitische Umgebung ist innovationsfeindlich.« Immerhin: 2020 erhielt DOSSIER öffentliche Fördergelder aus der neuen Wiener Medienprojektförderung – nach einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren mit journalistischen Kriterien und wissenschaftlichem Gremium, wie es sich Skrabal auch für die allgemeine Presseförderung wünschen würde.

© Tom Linecker

Guten Morgen statt gute Nacht

Das Jahr 2021 begann dann düster: Die Sendung »Gute Nacht Österreich« wurde abgesetzt und von der OMV flatterte eine Klage über 130.000 Euro ins Haus. Im Nachhinein gesehen ein echter Glücksfall: Denn dass ein Weltkonzern gegen ein kleines, unabhängiges Medium vorgeht, brachte DOSSIER einmal mehr mediale Aufmerksamkeit, die man für eine Crowdfunding-Kampagne mit überwältigendem Erfolg nutzte: Innerhalb eines Monats stieg die Anzahl zahlender Mitglieder von etwa 2.000 auf über 5.000. DOSSIER überlebt nicht nur, es kann wachsen.

»Ein Jahr liegt vor uns, das ganz neue Möglichkeiten bringt«, sagt Skrabal. »Wir können eine neue Mitarbeiterin dazuholen, unser Magazin kann viermal im Jahr erscheinen, wir können andere Formate ausprobieren. Aus dem großen Druck ist eine Situation mit aktiven Gestaltungsmöglichkeiten entstanden.« Die Ausrichtung auf »Slow Journalism«, wie es Skrabal nennt, bleibt bestehen: Nicht auf jedes Thema aufspringen, sondern gründlich recherchierte Geschichten machen, von Korruption in Politik und Wirtschaft, von der Ausbeutung Schwächerer, vom Versagen Einzelner und ganzer Systeme. »Man soll bei jedem Beitrag erkennen, dass darin Fleiß und Schweiß steckt.«

 

3 DOSSIER-Recherchen, die Wellen schlugen

  1. Inserate – eine never-ending Story

    2012 veröffentlichte DOSSIER seine erste Geschichte: »Die Anzeigen-Schweige-Spirale« widmete sich struktureller Korruption zwischen Politik und Medien am Beispiel der Stadt Wien. Bis heute wirken dieselben Mechanismen: Mit öffentlichen Inseraten wird die Gunst von Medien erkauft.

  2. Drei Minister für Glock

    Im September 2018 berichtete DOSSIER, wie der Waffenindustrielle Gaston Glock drei Regierungsmitglieder der FPÖ bei seinen Springreitturnieren hofiert hatte – im Vorfeld waffenpolitischer Entscheidungen. Acht Monate später wurde der »Ibiza-Skandal« publik, in dem der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) unter anderem über mutmaßliche Zahlungen Glocks an parteinahe Vereine spricht.

  3. Auf der Spur des Pornhub-Phantoms

    Jüngst deckte DOSSIER auf, wer hinter Pornhub steckt, der weltweit wohl größten Porno-Website: ein Oberösterreicher. Seit Monaten ringt Pornhub mit Skandalen. Die Vorwürfe: Pornografische Videos mit Minderjährigen wurden ebenso verbreitet wie Inhalte mit sexualisierter Gewalt.

© Photo by Charles Deluvio on Unsplash

Journalismus »am Rand«

Im ersten Corona-Lockdown fasste eine Gruppe Journalismus-Studierender der FHWien der WKW – mittlerweile haben sie das Studium abgeschlossen – den Entschluss, ein multimediales Onlinemagazin über gesellschaftliche Randthemen zu starten. Schon wenige Monate später ging amrand.at online und berichtet nun mit wöchentlichen Schwerpunkten zu Themen wie Armut, Sexualität oder Pflege. Eine Plattform wie DOSSIER mit hauptberuflicher Redaktion wolle man aber nicht aufbauen, wie Chefredakteur Ronny Taferner berichtet: »Wir wollen ehrenamtlich nebenbei Randthemen bearbeiten, die uns persönlich interessieren.«

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