Nachhaltigkeit ist immer ein Prozess, ein Lernprozess, wenn man so will. So war es auch bei Harald Friedl. Der in Holland lebende Speaker und Workshop-Leiter hat die letzten 15 Jahre damit verbracht, Wirtschaftsleuten, PolitikerInnen, aber auch Medien zu erklären, warum unsere Gesellschaft nachhaltiger werden sollte. Er sieht diese Aufgabe als persönliche Reise und möchte andere motivieren, sich mit ihm auf das große Abenteuer Nachhaltigkeit einzulassen.
»Ich stelle bei Vorträgen immer die Frage: Tust du genug?«, erzählt Friedl. Es gehe nicht darum, den Zuhörenden ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern ehrlich mit dem Thema umzugehen. »Wir müssen zusammenarbeiten, dabei sind radikale Kollaboration und Transparenz wichtig. Noch basiert vieles auf Freiwilligkeit, aber der Druck auf Unternehmen wird in Zukunft wachsen.« Friedl ist überzeugt, dass diejenigen, die schon jetzt freiwillig auf Nachhaltigkeit setzen, in den kommenden Jahren davon profitieren werden. »Es geht auch darum, ob man ein sexy Unternehmen sein möchte, das die besten Leute bekommen und halten kann.«
Klimapaket »Fit for 55«
Auch die Politik setzt die Segel: Das »Fit for 55«-Klimapaket formuliert klare Prioritäten. Im Dezember 2020 haben sich die 27 Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, die Treibhausgase der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Das Maßnahmenpaket, das den Verkehr ebenso wie das Heizen in privaten Haushalten regelt, wird uns alle betreffen. Ab 2035 sollen beispielsweise EU-weit nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden.
In Österreich soll das bei Pkw sogar schon früher, ab 2030, der Fall sein. Bis 2032 sollen hierzulande dann auch sämtliche Busse auf emissionsfreien Antrieb umgestellt sein.
Ebenfalls in Planung ist ein sogenannter Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), eine Steuer für Klimagase, die bei der Produktion von Waren im Ausland entstehen. So sollen klimaschädliche Importe aus Drittländern verhindert werden.
»Roadmap anlegen, authentisch bleiben«
Wie sollen Unternehmen diese neuen Herausforderungen anpacken? »Es geht nicht, von heute auf morgen zu 100 Prozent in allen Bereichen nachhaltig zu sein«, beruhigt Daniela Ortiz, die an der FHWien der WKW unterrichtet und das Stadt Wien Kompetenzteam Change for Corporate Sustainability am IBES leitet, dem Institute for Business Ethics and Sustainable Strategy der Fachhochschule: »Es macht Sinn, eine Roadmap anzulegen und einmal abzustecken: Wo stehen wir aktuell? Was haben wir vor? Welche Schritte sind dafür nötig? Man muss authentisch bleiben, auch wenn oft ehrgeizige Ziele erforderlich sind.«
Viele Firmen wollen nachhaltiger agieren, wissen aber nicht, wo sie ansetzen sollen. Eine Studie des Circular Economy Forum Austria, durchgeführt zwischen März 2019 und März 2020, besagt, dass 88 Prozent der befragten heimischen Wirtschaftstreibenden verschiedener Sektoren überzeugt sind, dass ihr Unternehmen einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten kann. Über die Hälfte der Befragten räumt zugleich Wissenslücken bei diesem Thema ein. Tatsächlich denken viele beim Stichwort »Kreislaufwirtschaft« an klassisches Recycling oder Abfallbewirtschaftung, also nur an das Lebensende von Produkten. Dabei helfen auch neue Materialien, Designs oder digitale Lösungen, den Materialkreislauf zu schließen.
Nachhaltigkeit als Innovation Booster
Nachhaltigkeit kann also auch die Innovation befeuern, was in Umbruchszeiten einen Wettbewerbsvorteil darstellt. Schon jetzt zeigt sich, dass Firmen wie der Technikkonzern Philips oder das Outdoor-Bekleidungslabel Patagonia neue Kundensegmente ansprechen, weil sie früh auf nachhaltige Produktion gesetzt haben. »Unternehmen, die nachhaltig agieren, verschaffen sich einen Reputationsgewinn. Der wiederum verhilft ihnen zu KundInnen, die bereit sind, mehr für die Produkte zu bezahlen«, bestätigt Nachhaltigskeitsforscherin Daniela Ortiz.
Aber wie merken KonsumentInnen, ob es ein Unternehmen mit dem grünen Auftritt ernst meint? »Greenwashing ist heute schwieriger als früher«, sagt Ortiz: »Kleine Maßnahmen, die das Image aufpolieren, während man beim Rest weitermacht wie bisher – solche Strategien kommen bei KundInnen nicht gut an und sind auch leichter aufzudecken. Millennials finden im Internet rasch Quellen, um Informationen zu überprüfen.«
Unternehmen, die sich in Sachen Nachhaltigkeit durchmogeln wollen, spielen also ein riskantes Spiel: Gerade in sozialen Medien ist der Ruf schnell angeschlagen. »Unternehmen sollten möglichst transparent agieren«, rät Ortiz: »Genau offenlegen, was sie schaffen, was nicht und warum das so ist.« Natürlich ist es nicht so leicht, Wirtschaftlichkeit, Ethik und Nachhaltigkeit sinnvoll unter einen Hut zu bringen. »Viele Betriebe vergessen dabei, dass Nachhaltigkeit auch den sozialen Bereich betrifft«, sagt die Forscherin und ergänzt, dass Unternehmen viele spannende Prozesse in Gang setzen könnten, wenn sie das Wissen und Engagement aller Mitarbeitenden integrieren würden.
Reformen statt »Reförmchen«
Der Weg zu einer gesunden, starken und zugleich nachhaltigen sowie ethisch verantwortungsvollen Wirtschaft ist lang und kurvenreich. Einige versuchen, Abkürzungen zu nehmen. »Viele Firmen retten sich in Reförmchen. Sie wiegen sich in einer Scheinsicherheit, weil es gesetzliche Normen und Rahmenwerte gibt«, sagt Nachhaltigkeitsexpertin Gabriele Faber-Wiener, Lehrende an der FHWien der WKW, Mitglied im PR-Ethikrat und Juryvorsitzende des Nachhaltigkeitspreises TRIGOS. Sie schlägt alternativ einen grundsätzlichen Diskurs über das Thema Verantwortung vor (siehe Interview). Ihre Kollegin Karin Huber-Heim, die am SDG Day der FHWien der WKW einen Workshop zum Thema »Klima & Wirtschaft: Wie erreichen wir die Klimaziele?« halten wird, sieht das ähnlich: »Nachhaltigkeit ist keine Checklist, die man abarbeitet, sondern ein langfristiger Transformationsprozess, den man einleiten muss. Man sollte die Perspektive der Zukunft einnehmen, um auf unsere Gegenwart zu blicken. Es liegt in der Natur der Wirtschaft, Probleme zu lösen.«
Folgekosten des Klimawandels berechnen
Schon jetzt gibt es Tools, mit denen man kommende Probleme abschätzen kann. »Mittels Scenario Planning können Unternehmen errechnen, was sie bestimmte Auswirkungen des Klimawandels kosten werden. Das sind horrende Summen allein für Lieferengpässe«, so Huber-Heim: »Wenn man sich anschaut, wie teuer Container allein durch die Corona-Pandemie geworden sind, kann man sich vorstellen, was der Klimawandel an neuen Kosten verursachen wird. Aus dieser Perspektive erscheinen alternative Strategien plötzlich in einem anderen Licht.«
Nachhaltigkeits-Nachhilfe vom Profi
In den vergangenen beiden Jahren hat Karin Huber-Heim bei heimischen Unternehmen einen Trend zur Professionalisierung der Nachhaltigkeit beobachtet. Viele holen sich gezielt Hilfe von außen oder suchen dafür gut ausgebildete ManagerInnen. »Man kann das Thema Nachhaltigkeit nicht einfach nebenherlaufen lassen. Es braucht einen tiefgreifenden Transformationsprozess. Und für den gibt es keine Patentlösung«, erklärt die Expertin. »Früher wurde das Nachhaltigkeitsthema oft einfach einer Stelle innerhalb der Firma aufgelastet. Das Marketing oder die Kommunikation sollten es miterledigen«, bestätigt auch Daniela Ortiz von der FHWien der WKW: »Mittlerweile ist klar, dass man SpezialistInnen für Nachhaltigkeitsthemen braucht, die im Idealfall unterschiedliche Bereiche eines Unternehmens abdecken.«
Nachhaltigkeit ist mehr als CO2-Reduktion, Recycling oder Müllvermeidung. Ein Unternehmen, das nachhaltig agiert, übernimmt Verantwortung für das eigene Tun entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dazu Ortiz: »Das reicht von der Personalpolitik über Menschenrechte in Lieferketten bis zu Geschlechtergerechtigkeit und Gesundheit.«
Millennials suchen sinnhafte Arbeit
Zieht ein Unternehmen all diese Bereiche in Betracht und ist es mit sich im Reinen, kann es das guten Gewissens auch nach außen kommunizieren. So wird es sich leichter tun, Top-KandidatInnen und gut ausgebildete Nachwuchskräfte an Bord zu holen. Denn den Millennials ist neben der Möglichkeit zum Homeoffice und einer guten Work-Life-Balance vor allem die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit wichtig. »Bei Firmen wie Philips, die ein überzeugendes Nachhaltigkeitsprogramm haben, steigt auch die Arbeitsplatzzufriedenheit«, weiß Harald Friedl: »Die Menschen wollen Teil des Entscheidungsprozesses sein. Man muss nicht den Job wechseln, wenn man etwas verändern möchte. Man kann auch innerhalb der Firma eine Sustainability-Group ins Leben rufen.«
»Viele junge Menschen schauen nicht mehr nur aufs Gehalt. Für meine Studierenden wäre unethisches Verhalten bei der Arbeitgeberwahl ein No-Go«, sagt Ortiz. Aber nicht nur Millennials suchen verstärkt nach Sinnhaftigkeit. »Auch der Generation 40 plus ist bewusst, dass ihre Kinder sonst keine Zukunft haben«, sagt Nachhaltigkeitsexpertin Huber-Heim: »Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der grenzenlose Konsum erfunden. Es muss uns einfach klar sein, dass es sich hier um ein von Menschen entworfenes System handelt. Gerade deshalb kann man es auch verändern.«
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