Sie beschäftigen sich intensiv mit Digitalem Humanismus. Was ist das?
Gerfried Stocker: Im Zentrum des Digitalen Humanismus steht die Frage: »Wie können wir den Umgang mit Technologie menschengerechter gestalten?« Ein Alltagsbeispiel sind die Automatenfoyers von Banken. Viele kennen das: Dort stehen ältere Menschen, die sich nach einer Weile ein Herz fassen und fragen, ob du ihnen helfen kannst. Das Gleiche passiert bei Bankomat-Tankstellen oder den Ticketautomaten am Bahnhof. Der Digitale Humanismus sagt: Wenn so etwas nicht funktioniert, kann es auch daran liegen, dass die eingesetzten Technologien nicht die richtigen sind.
Geht es also darum, den digitalen Alltag von UserInnen zu erleichtern?
Stocker: Der Digitale Humanismus hat auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Es geht nicht nur um die Bedürfnisse der UserInnen, sondern auch um Verantwortung und die Idee der Selbstbestimmtheit. Im weltweiten Durchschnitt sind die Menschen mittlerweile 6,5 Stunden am Tag online, aus der Werkzeugtechnologie Internet ist ein neuer Lebensraum geworden. Sich in der digitalen Welt zurechtzufinden, ist eine Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts, die man mühsam lernen muss wie Schreiben, Rechnen oder ein Musikinstrument.
Wie kam es dazu, dass die meisten Menschen derzeit ein eher pessimistisches Zukunftsbild haben?
Stocker: Zwei Dinge spielen eine Rolle: Zum einen die zunehmend ernüchternde Erfahrung mit der digitalen Welt. Wir haben beobachtet, wie die Digitalisierung zu einem rein kommerziellen Projekt verkommen ist und wir zu Opfern der Datenwirtschaft wurden. Und zum anderen die unheimlich problematische Perspektive, wie wir mit Klimawandel und Energiewende umgehen werden. Wir scheinen mittlerweile in einer neuen Phase zu sein: Die tollen Versprechungen der neuen Technologien, die mit der Digitalisierung gekommen sind, haben sich für viele als negatives Szenario herausgestellt. Die großen Konzerne verdienen, unsere Staaten sind nicht mal in der Lage, Steuern dafür einzuheben. Und jeder Einzelne merkt das.
Was kann man als Einzelperson tun, damit es besser läuft?
Stocker: Es ist nicht Aufgabe der KonsumentInnen, die Dinge besser zu machen. Der Punkt ist: In keinem anderen Bereich unseres Lebens würden wir akzeptieren, dass so mit uns umgegangen wird wie auf den digitalen Plattformen. Wir unterwerfen uns den Rahmenbedingungen eines digitalen Feudalismus. Es braucht Regulierungen, Spielregeln und Rahmenbedingungen, bei denen ganz klar im Vordergrund steht, dass wir als KonsumentInnen ein Recht haben, geschützt zu werden.
Geht Ihrer Ansicht nach in diesem Bereich genug voran?
Stocker: Vor fünf Jahren hat noch jeder und jede gesagt, Regulierungen sind unmöglich. Mit den Initiativen der Europäischen Kommission ist in den letzten zwei, drei Jahren aber Enormes geschafft worden. Wir haben jetzt zumindest die Grundlage dessen, was verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für die digitale Welt sein könnten. Europa ist da wirklich ein fantastischer Vorreiter.
Aus Ihrer Perspektive als Leiter der Ars Electronica – was kann Kunst in Sachen Digitaler Humanismus leisten?
Stocker: Kunst bekommt immer mehr die Rolle eines Katalysators. Sie kann Themen frühzeitig wahrnehmen und diese dann zu Denkmöglichkeiten und Erfahrungsrealitäten machen. Kunst kann nicht nur aufzeigen, sondern aktiv daran mitwirken, unser Verhalten zu ändern. Sie hilft, Aufmerksamkeit und Ideenräume zu schaffen.
Welche interessanten künstlerischen Projekte gibt es in diesem Bereich momentan?
Stocker: Ein Beispiel ist das Projekt »Avatar Robot Café DAWN ver.β« in Tokio, das im Juni mit der Goldenen Nica des Prix Ars Electronica 2022 ausgezeichnet wurde. In dem Café servieren kleine Roboter die Getränke. Das Besondere ist, dass die Roboter von Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Behinderung gesteuert werden. Damit werden diese Menschen wieder in den Berufsalltag integriert. Hier agiert Kunst als Katalysator. Wir nehmen Robotik her, um Nachteile, die Menschen haben, zu kompensieren.
Das erinnert ein bisschen an die Roboter-Robbe Paro aus der Ars-Electronica-Sammlung, die in der Altenpflege eingesetzt wurde.
Stocker: Es gibt da einen interessanten Unterschied: Die Robbe Paro wurde gebaut, damit pflegebedürftige Menschen – überspitzt formuliert – ruhiggestellt werden. Der entscheidende Mehrwert, den digitalhumanistische Projekte wie das Robotercafé leisten können: Sie bringen benachteiligte Menschen zurück in direkten Kontakt mit der Gesellschaft und bieten Empowerment. Es geht um humanistische Wertschöpfung.
-
Coverstory: Studieren neben dem Job
Voller Kopf und voller Zeitplan - aber es lohnt sich: Warum berufsbegleitende Studien immer gefragter werden und was man braucht, um sich neben der Arbeit akademisch weiterzubilden.Was man braucht, um sich neben der Arbeit akademisch weiterzubilden – und was es bringt. -
Im Interview: Kurdwin Ayub – „Am Filmset bin ich tough"
Regisseurin Kurdwin Ayub wurde für ihren Debütspielfilm "Sonne" bei der Berlinale ausgezeichnet. Mit STUDIO! sprach sie über die Flucht ihrer Familie aus dem Irak, ihre Berufswahl und warum sie beim Drehen klare Ansagen macht.Regisseurin Kurdwin Ayub wurde für ihren Debütspielfilm "Sonne" bei der Berlinale ausgzeichnet. -
Gerfried Stocker (Ars Electronica): "Wir unterwerfen uns einem digitalen Feudalismus"
Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer der Ars Electronica, erklärt im Interview, was er an kellnernden Robotern gut und an Ticketautomaten schlecht findet.Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer der Ars Electronica, erklärt im Interview, was er an kellnernden Robotern gut und an Ticketautomaten schlecht findet. -
"Der effektivste Hebel": Sustainable Finance
Im Zentrum des Green Deal der EU steht ein grünes Finanzsystem, das die Wirtschaft nachhaltig machen soll.Im Zentrum des Green Deal der EU steht ein grünes Finanzsystem, das die Wirtschaft nachhaltig machen soll. -
Alumni Story: Gabriele Graf
Gabriele Graf studierte Immobilienwirtschaft an der FHWien der WKW und ist heute Asset Managerin der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG).Gabriele Graf studierte Immobilienwirtschaft an der FHWien der WKW und ist heute Asset Managerin der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG).