Frau Molcho, Sie sind in Tel Aviv aufgewachsen. Können Sie etwas über Ihre Kindheit erzählen, darüber, wie Ihre Liebe zum Kochen entstand?
Haya Molcho: Mein Vater war Zahnarzt. Damals in Israel ist er mit einem Motorrad und seiner Bohrmaschine von Dorf zu Dorf gefahren, hat Zähne behandelt und dafür Gemüse und andere Lebensmittel bekommen. Damit haben wir dann gekocht. So habe ich beispielsweise gelernt, einzukochen.
Das heißt, Sie haben schon in jungen Jahren große Mengen gekocht?
Molcho: Ja. Wenn es auf einer Farm nur Tomaten gab, dann wurden eben zwei Wochen nur Tomaten gekocht, jede Art – aus den Kernen einen Saft, aus dem Rest Ratatouille. Meine Mutter hat oft geschrien: »Jetzt bringst du mir schon wieder Tomaten!« Mir hat sie erzählt, dass mich das Kochen schon mit sieben, acht Jahren wahnsinnig interessiert hat.
Kochen war schon damals eine Familienangelegenheit?
Molcho: Absolut. Meine Großmutter hat die besten eingelegten Gurken gemacht. Diese knackigen Gurken in Israel, die kann man mit keiner Gurke der Welt vergleichen.
Sie haben Ihre vier Söhne als Vollzeitmutter großgezogen. Wie haben Sie es geschafft, mit vier Kindern aufwendig zu kochen, sich dabei als Köchin weiterzuentwickeln und Speisen auf den Tisch zu stellen, die auch den ganz Kleinen schmecken?
Molcho: Ich habe eine Leidenschaft fürs Kochen, die hat nicht jeder. Für mich war es kein Problem, wenn einer vegetarisch, einer Fisch und einer Fleisch wollte, dann hab ich das Gewünschte jeweils hinzugefügt. Mein Mann ist übrigens Vegetarier. Meine Kinder habe ich nicht vegetarisch erzogen. Aber ich fand es immer richtig, sie daran zu gewöhnen, nachhaltig zu denken. Wenn ich nochmals Kinder hätte, würde ich sie wieder mithelfen lassen. Meine Kinder haben oft in den Töpfen gerührt. Kinder sind ja nicht dumm, die können so viel mitmachen, wenn man sie integriert. Wenn ich gebacken habe, waren ihre Hände voller Mehl, deswegen hatten sie Respekt gegenüber dem Produkt. Klar, das ist manchmal stressig, umso mehr wahrscheinlich, wenn man keine gute Köchin ist. Mir hat es immer Freude gemacht. Und Perfektion war ja nie das Ziel.
Im Jahr 2009 – da waren Ihre Söhne schon erwachsen – haben Sie gemeinsam mit ihnen die israelische Küche mit Ihrem Lokal NENI am Wiener Naschmarkt in Wien hip gemacht.
Molcho: Darauf bin ich stolz. In Wien hat man damals geglaubt, Hummus ist Kompost. Wir haben den Leuten die levantinische Küche nach Österreich gebracht: neu, vegan, vegetarisch, gesund. Da haben wir einen Trend geschaffen.
Der Trend ist heute wahrscheinlich noch größer.
Molcho: Nachhaltigkeit, Fleischverzicht, ja, wir sind voll im Trend. Ein Stück Glück ist dabei gewesen, bei Spar laufen unsere Sachen wunderbar. Wir haben intern ein tolles Team an Produktentwicklern. Wir produzieren seit Kurzem auch fermentierte Zitronen, Harissa. Diese Sachen brauchen die Leute, um meine Rezepte nachzukochen.
Bei Jamie Oliver lief ein ähnliches Konzept, Lebensmittel und Kochutensilien mit seinem Namen drauf anzubieten, irgendwann nicht mehr gut.
Molcho: Jamie Oliver hat das nicht selber gemacht, er war nicht so dahinter, war eher auf das Fernsehen konzentriert. Wir sind ein Familienbetrieb. Wir sagen 90 Prozent aller Anfragen für Kooperationen ab.
Apropos Familienbetrieb. Drei ihrer vier Söhne sind bis heute eingebunden in die Firma NENI: Wie sieht die Aufgabenteilung aus?
Molcho: Wir haben das NENI gemeinsam aufgebaut. Meine Söhne haben freiwillig mitgemacht und sind freiwillig dabeigeblieben. Ursprünglich hätten sie mir nur ein halbes Jahr am Naschmarkt im Lokal aushelfen sollen. Wir haben es so eingeteilt, dass jeder seine eigene Stärke einbringen konnte. Nuri (Nuriel Molcho, Anm.), der Älteste, ist sehr künstlerisch veranlagt. Er fotografiert für unsere Kochbücher, Social Media und so weiter. Elior ist General Manager in allen Lokalen und die erste Ansprechperson für unser tolles Personal. Ilan hat als CEO das große Ganze im Blick und steuert NENI. Sei es in Bezug auf unsere Produkte europaweit in den Supermärkten oder unsere Restaurants.
Wie würden Sie Ihre eigene Rolle im Unternehmen beschreiben?
Molcho: Ich bin Produktentwicklerin, Culinary Director und das Gesicht der Marke. Ich habe mein Team, mit dem ich Rezepte entwickle und Kochbücher schreibe. Alles, was operativ ist, überlasse ich den Jungs. Wichtiges und Visionen besprechen wir allerdings immer als Familie.
Und Ihr Mann, der Pantomime und Experte für Körpersprache Sami Molcho?
Molcho: Sami war ganz am Anfang gegen Gastronomie, weil er wusste: Das ist so ein harter Job. Heute gibt er Körpersprache-Seminare für unsere Mitarbeiter – und ist wahnsinnig stolz.
Seit der Gründung des Restaurants NENI am Naschmarkt ist das Unternehmen in sagenhaftem Tempo gewachsen. Heute beliefern Sie Supermarktfilialen und Hotels in ganz Europa. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
Molcho: Wir haben nie an den Mitarbeitern gespart. Meine Söhne und ich haben relativ viel Freizeit, fliegen oft herum wie die Nomaden. Das ist nur möglich, weil wir allen Mitarbeitern vertrauen. Auch unsere Franchisepartner im Ausland sind Top-Leute, die voll eingebunden sind, mein Team, meine Köche … und jeder von uns kann zwischendurch kreativ sein. Das ist unser Luxus.
Wie schafft man so eine Vertrauensbasis zu den Angestellten?
Molcho: Indem wir uns sehr viel Zeit nehmen für sie. Bei der Suche und bei der Ausbildung. Jeder Koch lernt zwei Monate lang, bis er wirklich inspiriert ist von NENI. Das leisten wir uns. Man darf in so einem Beruf nicht greedy sein, man muss Zeit und Geld und Vertrauen investieren. Wenn ich heute sagen würde, »ich kann nie auf Urlaub fahren«, dann habe ich als Chef was falsch gemacht. Unsere Mitarbeiter müssen Entscheidungen auch alleine treffen können.
Gehen wir nochmal zurück zur Unternehmensgründung. Der Ratschlag an Gründerinnen und Gründer lautet gemeinhin: Erstelle zuerst einen Businessplan, mach Marktanalysen. Gab es all das bei Ihnen?
Molcho: Ehrlich gesagt war das bei uns allen vieren mehr Bauchgefühl und Glaube an uns selbst. Wenn du an ein Projekt glaubst, ist schon 50 Prozent gemacht, es folgt die eine oder andere Kurskorrektur. Kritik muss man annehmen und weitermachen. Die Bank haben wir durch unsere Leidenschaft überzeugt.
Sprechen wir über die letzten Monate. Viele Gastronomiebetriebe hatten Schwierigkeiten durch die COVID19-Ausfälle. Wie war das bei Ihnen?
Molcho: Während Corona haben wir noch mehr gearbeitet als sonst. Die Kinder kamen zu uns ins Haus. Wir haben ein Kochbuch gemacht, bei uns im Garten, Nuri hat fotografiert und gefilmt. Wir haben Take-away-Boxen entworfen, niemand gekündigt, nur Kurzarbeit gab es, die Supermärkte mit unseren Produkten waren ja nicht zu. Unser Sohn Nadiv, der als Schauspieler in L.A. lebt, kam auch nach Österreich, am letzten Tag, an dem Flüge gingen. Alle haben mitgearbeitet, gemeinsam gekocht und gesponnen, das war wie im Kibbuz (lacht).
Wenn Sie von Ihrer Karriere erzählen, klingt alles so leicht. Haben Sie gar keine Fehler gemacht?
Molcho: Natürlich. Ein Beispiel: Wir haben früher Freunde der Jungen als Kellner genommen, tatsächlich hätten wir aber professionellere Kellner gebraucht mit Erfahrung. In der ersten Zeit am Naschmarkt mussten wir uns dauernd mit New York Cheesecakes entschuldigen, wenn etwas schiefgegangen ist. Rückblickend war das eine unbewusste Marketing-Entscheidung. Der Kuchen wurde unser Markenzeichen. Aber es ist wichtig, nicht lange bei Fehlern zu bleiben, sonst verzeihen die Kunden nicht mehr.
Auf der NENI-Homepage sieht man Porträts und Statements von Ihnen und Ihren Söhnen. In der Fachsprache nennt man es „Personal Branding“, wenn man Produkte mit der eigenen Persönlichkeit bewirbt. Macht das auch Druck auf Ihre Familie, so in der Öffentlichkeit zu stehen?
Molcho: Wir gehen in der Öffentlichkeit genauso mit Emotionen um wie zu Hause: Wir lachen und weinen zusammen. Im NENI-Extrazimmer sieht man uns auch mal streiten. So sind wir. Ich muss nicht spielen, dass alles perfekt ist. Wir sind eine glückliche Familie, mit allen Problemen, die man eben hat. Auf Instagram hat einmal jemand geschrieben: »Diese Familie ist von Spar mit Schauspielern besetzt worden. Die Molchos gibt es gar nicht, die wurden erfunden!« Das ist ein Wahnsinn, wie Leute manchmal denken. Warum kann man nicht glücklich sein? Wir haben auch schlimme Momente in unserem Leben gehabt, das haben wir nie versteckt. Wichtig ist, dass am Ende des Tages jeder jeden respektiert.
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