Eassand Käs und nüd das tüür Brod!«, sollen die Bregenzerwälder im 19. Jahrhundert gesagt haben: Esst Käse und nicht das teure Brot! Der Bergkäse von den Alpen und aus den Dorfsennereien war über Jahrhunderte ein Grundnahrungsmittel – im Lauf der Zeit wurde er zum beliebten Exportgut und zur Spezialität. So verbreitete sich sein Ruf und Duft durch halb Europa. Und mittlerweile kommen sogar Reisende in den Bregenzerwald, um den Bergkäse vor Ort zu genießen und seine Produktion kennenzulernen.
Den Grundstein dafür legten einige Bergbauernhöfe, Sennereien und Wirtshäuser, die 1998 mit einem Projekt einen guten Riecher bewiesen: Sie riefen die KäseStrasse Bregenzerwald ins Leben, deren Ziel es ist, die regionale Wertschöpfung und die Kleinstrukturen zu erhalten und zu fördern sowie den Bregenzerwald als Käseregion zu profilieren. Heute zählt der »Verein KäseStrasse« über 200 Mitglieder – neben bäuerlichen ErzeugerInnen auch Hotels, Gasthöfe, Handwerks- und Handelsbetriebe sowie Ausflugsziele wie Museen. Die lokalen Tourismusbüros sind ebenfalls Partner. Unter der gemeinsamen Marke werden Programme, Besichtigungen und Spezialitäten aus regionalen Zutaten angeboten; Gäste bekommen Einblick in das Leben und die Geschichte der »Wälder« – und natürlich in die Käseproduktion auf den Alpen und in den Talsennereien.
Most und Moorochsen
Heute gibt es Dutzende ähnliche Initiativen in Österreich, die regionale Schmankerl in die Auslage stellen und damit überregionale Beachtung finden, etwa die Südsteirische Weinstraße, die »Via Culinaria« in Salzburg oder das steirische Vulkanland. Die Initiative »Genuss Region Österreich«, die seit rund zehn Jahren ErzeugerInnen, Handel und Gastronomie vernetzt, umfasst mittlerweile 113 Marken vom Alpbachtaler Heumilchkäse bis zum Zickentaler Moorochsen. Zur touristischen Vermarktung tragen auch Kulinarikfeste bei: So haben sich beispielsweise entlang der Moststraße in Niederösterreich in den letzten zehn Jahren die Übernachtungen verdoppelt, was die Verantwortlichen von Mostviertel Tourismus nicht zuletzt auf die Mostfeste im Frühling und im Herbst zurückführen.
Kulinarische Events sind auch für Hermann Paschinger ein wichtiges Erfolgskriterium. Er ist Obmann der Plattform für kulinarische Entdeckungsreisen durch Österreichs Regionen www.genussreisen-oesterreich.at, die Pauschalangebote mit kulinarischem Schwerpunkt anbietet. »Der Grundgedanke ist, über die Kulinarik die Nächtigungen zu steigern«, erklärt er. »Kulinarik ist bei Österreich-Urlauben immer ein Thema. Wir erkennen dabei einen Trend, dass die Gäste neben Qualität auch Regionalität suchen, spezielle Produkte und Zubereitungsarten.« Neben den Spezialitäten selbst sei aber auch wichtig, darüber Geschichten zu erzählen – das ist nicht nur Aufgabe der Tourismusbüros, sondern auch der einzelnen Betriebe: »Der Gastronom ist ein Kenner der guten Produkte seiner Region, er hat eine hohe Multiplikatorfunktion. Es gibt Wirte und Hoteliers, die gemeinsam mit Gästen zu Lieferanten fahren und die Qualität der Produkte unter Beweis stellen.«
Wissenschaftliches Neuland
Wenn Delikatessen ein primärer Reisezweck sind, sprechen Fachleute von Culinary Tourism. »Das Forschungsfeld Kulinarik im Tourismus geht aber darüber hinaus – es beschäftigt sich auch mit Reisenden, die Kulinarik nicht in den Mittelpunkt stellen«, erklären Daniela Wagner und Klaus Fritz vom Institut für Tourismus-Management der FHWien der WKW, die sich mit diesem Thema wissenschaftlich beschäftigen. »Die Kombination Tourismus/Kulinarik ist ein relativ junges Forschungsfeld«, sagt Wagner. »Andere Disziplinen haben sich schon lange mit dem Thema Essen und Trinken beschäftigt, aber gerade in der Touristikforschung hat man spät erkannt, welches Potenzial im Faktor Essen steckt, wenn man es als Erlebnis inszeniert. « Erst seit der Jahrtausendwende wachse das Bewusstsein dafür, jetzt sei es jedoch umso intensiver.
Für das Institut ist Kulinarik ein Forschungsschwerpunkt, zuletzt wurde etwa eine Typologie der Gäste in Wiener Gastronomiebetrieben erstellt. Demnächst sind Arbeiten zur Regionalentwicklung und zum kulinarischen Angebot in Wien geplant. Außerdem steht im Herbst eine Konferenz auf dem Terminkalender: Die FHWien der WKW veranstaltet gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft e.V. (DGT) und der IMC Fachhochschule Krems vom 21. bis 23. Oktober in Wien die internationale »Culinary and Wine Tourism Conference«. Ziele der Konferenz sind der Erfahrungsaustausch zwischen Theorie und Praxis und den Nutzen der Forschung aufzuzeigen. »Wissenschaft und Gastronomie, das ist ein spannendes Verhältnis «, meint dazu Klaus Fritz, »da muss man erst Brücken bauen.«
Parallel zu den Entwicklungen in der Forschung ist Wagner und Fritz aber auch nicht verborgen geblieben, dass es in der Praxis immer mehr Marketingaktivitäten rund um regionale, hochwertige Produkte gibt. »Es gibt viele kulinarische Highlights in Österreich, die entscheidende Frage ist: Wie kann ich mich positionieren?«, sagt Daniela Wagner. »Wichtig für den Tourismus sind gut zugängliche Produkte – sie müssen für die Gäste leicht erwerb- und konsumierbar sein.« Man dürfe außerdem nicht nur an Urlaubsgäste denken, sondern müsse auch Angebote für den Tages- und Ausflugstourismus schaffen. Der entscheidende Faktor für den Erfolg eines kulinarischen Tourismus-Angebots sei aber, »dass jemand mit viel Engagement, dicker Haut und Leadership-Kompetenzen alle relevanten Gruppen an einen Tisch bringt.« Das nötige Rüstzeug dafür könne man sich zum Beispiel im Master-Studium Leadership im Tourismus holen, fügt Wagner schmunzelnd hinzu.
Wein bringt Wachstum
Laut Österreich Werbung geben 3 % aller SommerurlauberInnen »Wein und Kulinarik« als gewählte Urlaubsart an. Dieser Anteil sei in den letzten Jahren relativ konstant geblieben, sagt Ulrike Rauch-Keschmann, Unternehmenssprecherin der Österreich Werbung. Wie viele der übrigen 97 % das kulinarische Angebot in ihrer Reiseplanung berücksichtigen, hängt stark von der konkreten Fragestellung ab. »Sieht man sich die Urlaubsaktivitäten an, ist es so, dass laut unserer Urlauberbefragung T-MONA bereits mehr als ein Drittel unserer Gäste den Genuss typischer Speisen und Getränke aus der Region zu den Urlaubsaktivitäten zählt«, berichtet Rauch-Keschmann.
Viel Potenzial sieht Rauch-Keschmann auch im Thema Wein: »Auch wenn die Weinreise in Österreich noch ein Nischenprodukt ist, so stehen die Zeichen in diesem Bereich doch ganz eindeutig auf Wachstum. Zum Wein zu reisen und damit auch ein ganz bestimmtes Lebensgefühl zu genießen, entspricht genau dem Zeitgeist unserer Gäste.« Statistisch unterscheiden sich Wein- und KulinarikurlauberInnen übrigens kaum von anderen Gästen: Weder beim Alter noch beim Beruf oder Bildungsgrad gibt es markante Unterschiede. Nur eines fällt auf: Mit Speis und Trank kann man Herrn und Frau Österreicher gut zu einem Urlaub im eigenen Land bewegen.
Stadt mit Küche
Zu den beliebtesten Aktivitäten von Österreich-Reisenden gehört übrigens ein Besuch im Kaffeehaus. Ganz besonders trifft das auf Wien zu. »Es ist ein internationaler Trend, dass Urlauber ein großes Interesse an den Restaurants und der regionalen Küche ihrer Destination zeigen«, stimmt Josef Bitzinger, Spartenobmann Tourismus und Freizeitwirtschaft der Wirtschaftskammer Wien, in den Tenor ein. »Deshalb sind die Wiener Kaffeehäuser und der Wiener Wein schon seit Jahren fixer Bestandteil der Wien-Werbung.«
Wien stehe vor der Herausforderung, bei Spezialitäten aus der Landwirtschaft mit anderen Regionen nur begrenzt mithalten zu können. »Wir haben eben kein Pinzgauer Rind oder Tullnerfelder Schwein«, sagt Bitzinger. Die Marke »Wiener Gemüse« sei schwerer zu transportieren als Fleischspezialitäten. Dafür kann er auf eine andere Stärke bauen: »Die Wiener Küche ist die einzige Küche, die nach einer Stadt benannt ist. Das alleine ist schon ein Programm.«
Dynamisches Netzwerk
Das Pinzgauer Rind steht auf der Speisekarte, wenn man den »Genussweg für Fleischtiger« in Salzburg bereist. Dort hat man ein Konzept für kulinarische Reisen geschaffen, wie Leo Bauernberger, Geschäftsführer von SalzburgerLand Tourismus, schildert: »Wir haben analysiert, in welchen Bereichen wir stärker in die Angebotsentwicklung investieren wollen, und sind schnell daraufgekommen, dass die guten Produkte der Landwirtschaft eine echte Stärke sind.« Im Land Salzburg gebe es jeweils ca. 10.000 touristische und landwirtschaftliche Betriebe, mit der höchsten Dichte an Biobauern in Europa – »über 50 % der Bauern produzieren zertifiziert vollbiologisch«. Dazu komme eine beachtliche Zahl an Haubenlokalen. »Wir haben überlegt: Wie können wir diese Facetten in einer Marke präsentieren?«, berichtet Bauernberger.
Das Ergebnis heißt Via Culinaria und umfasst sieben Genusswege zu bestimmten Themen – zum Beispiel für Schnaps- und Bierverkoster, für Fischfans oder für Naschkatzen. Heuer wird ein neuer Weg rund um Kräuter und Heilpflanzen dazukommen. »Mit den Genusswegen heben wir nicht nur die Spitzenlokale hervor, sondern auch die ausgezeichnete Qualität der Almhütten und der Produzenten regionaler Spezialitäten«, sagt Bauernberger. »Das Konzept kommt gut an, weil es den Gästen eine Reiseidee liefert, aus der man sich individuell etwas zusammenstellen kann.« Man sehe auch an den Gästezahlen der eingebundenen Betriebe, dass dieses Angebot gut angenommen wird. »Es gibt auch einen schönen Nebeneffekt, den wir ursprünglich gar nicht beabsichtigt haben«, berichtet Leo Bauernberger: »Die Restaurants und Gasthöfe haben eine zusätzliche Plattform für Spitzenproduzenten gefunden und neue Produkte kennengelernt – die Vernetzung entwickelt eine Eigendynamik. Das hilft mit, den Agrarstandort abzusichern.«
Weltreise nach Mailand
Vom 1. Mai bis 31. Oktober findet in Mailand die Weltausstellung EXPO statt, die unter dem Motto »Feeding the Planet, Energy for Life« steht. Dementsprechend stellen viele Nationen in ihren Pavillons auch die nationale Küche vor. So kann man bei einer Reise zur EXPO etwa Spezialitäten von Afghanistan bis Zambia entdecken. Gleichzeitig sollen die Gäste aber auch zum Nachdenken über ihren Konsum angeregt werden – zum Beispiel im Pavillon der Schweiz: Dort stehen mit Lebensmitteln gefüllte Türme. Die Besucherinnen und Besucher können beliebig viele Produkte mitnehmen oder konsumieren – aber die Türme werden nicht nachgefüllt. Die Ressourcen sind nicht unendlich, und wenn nichts mehr da ist, ist nichts mehr da.
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