Sie wirken auf der Bühne und in Interviews sehr extrovertiert und selbstbewusst – wie viel davon ist Schein oder wie viel Sein? Ist das Teil Ihrer »öffentlichen Rolle«?
Reinsperger: Diese Zuschreibungen von außen werden auf mein Spiel projiziert, auf die Rolle, die man auf der Bühne spielt. Aber das bin ja auch immer ich, weil ich da mit meinem Körper und meinen Emotionen stehe. Ich kann natürlich Dinge überhöhen, aber sie kommen immer aus einem Teil von mir. Ich finde, man kann auf der Bühne viel mehr sein als im Leben. Du hast nicht so viele Begrenzungen und kannst alles ausleben, auch die negativen Seiten, die einem Angst machen.
»Wucht«, »Naturgewalt«, »Kraftwerk« – so werden Sie in den Medien und von Theaterkritikern genannt. Was sagen Sie zu solchen Attributen?
Reinsperger: Ich lege mir nicht bewusst ein Image zu. Das ist so passiert im Lauf der Zeit. Aber ich versuche auch nicht, in meinen Rollen dagegen anzukämpfen, ich möchte nicht aufgrund von etwas, was in der Zeitung steht, meine Arbeit ändern. Das mache ich dann, wenn mein Regisseur oder meine Kollegen Kritik üben.
Wie groß sehen Sie die Gefahr bei Schauspielerinnen, auf einen bestimmten Typus festgelegt zu werden und dann nur mehr entsprechende Rollen zu bekommen?
Reinsperger: Ich habe nicht das Gefühl, festgelegt zu werden. Es ist ja meine Arbeit, zu entscheiden und zu suchen, wie ich eine Rolle anlege. Klar, wenn man öfter mit demselben Regisseur arbeitet, kann es vorkommen, dass man sozusagen für eine bestimmte Rolle »eingekauft« wurde. Aber es liegt immer an mir, das zu steuern und dem Regisseur ein möglichst breites und vielleicht neues Spektrum anzubieten.
Man meint ja landläufig: Auf der Bühne ist alles gespielt und im Alltag ist alles echt. Aber wie viel Spiel und wie viel echtes Leben ist auf der Bühne?
Reinsperger: Tatsächlich hoffe ich, dass da oben ganz viel Wirklichkeit passiert. Mein Ziel wäre, dass die Zuschauer wenigstens ein, zwei Momente haben, in denen sie sagen: »Das kenne ich« oder »Das war heute am Küchentisch«. Es geht darum, dass die Leute unten im Publikum eine Brücke zu ihrem eigenen Leben schlagen können. Manchmal passiert das durch totale Überhöhung, durch sehr abstraktes Spiel, und manchmal durch extremen Realismus. Die Faszination am Schauspielberuf ist ja auch, dass man unter dem Schutz der Bühne alles ausleben darf, was man im echten Leben zurückhalten muss. Man kann laut und ungerecht sein, schreien, morden. Ich merke, dass ich unausgeglichen werde, wenn ich lange nicht probe, da fehlt dann ein Ventil.
Die Verbindung zum echten Leben ist Ihnen also wichtig.
Reinsperger: Ja, sonst könnte ich nicht spielen. Das Theater ist keine Moral- und keine Lehrveranstaltung. Wir sind nicht alle Gutmenschen, sondern wir müssen uns angreifbar machen. Erst wenn du Schwächen zeigst, können sich die Leute mit dir identifizieren. Immer nur perfekte Miniatur-Setzkastenfiguren zu zeigen, hieße, im Elfenbeinturm zu bleiben. Das finde ich wahnsinnig unspannend.
Wie schafft man es, in eine Rolle zu schlüpfen und dennoch authentisch zu spielen? Oder anders gefragt: Wann wären Sie als Figur nicht authentisch?
Reinsperger: Ich bin ein wahnsinnig untheoretischer Mensch, bei mir kommt alles aus dem Bauch und aus dem Herzen, deshalb kann ich das so linear gar nicht beantworten. Bei mir hat Authentizität ganz viel mit Gefühl zu tun, mit dem hundertprozentigen Einlassen auf seine Spielpartner und auf Situationen. In dem Moment, in dem du Situationen glaubhaft an dich heranlässt, passiert es dir in Echtzeit. Das macht das Faszinosum am Theater aus. Da passiert alles echt, es gibt kein fertiges Produkt.
Sie spielen heuer erstmals die Rolle der Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen: Diese Rolle ist ja keine Figur mit Entwicklung, sondern ein Typus. Wie legt man so eine Rolle an?
Reinsperger: Von der Herangehensweise wird es nicht anders sein als bei anderen Rollen, man hat Probenbeginn und dann sechs Wochen Probenzeit. Ich habe glücklicherweise einen wundervollen Spielpartner, bei dem ich darauf vertraue, dass ganz viel aus dem Zusammenspiel kommt. Was in die Rolle der Buhlschaft oft hineinprojiziert wird, kann man nicht leisten und davon muss man sich befreien. Man muss sie als eine Rolle akzeptieren, die auftritt – wahrscheinlich in einem tollen Kleid –, ihre Aufgabe erfüllt, indem sie für den Jedermann, für seine Geschichte da ist und dann auch wieder weg ist.
In der Vergangenheit haben mehr als 30 Schauspielerinnen die Rolle der Buhlschaft gespielt, darunter so bekannte Namen wie Senta Berger oder Birgit Minichmayr. Gibt es eine, die Ihnen in dieser Rolle ein besonderes Vorbild ist?
Reinsperger: Ich habe die Inszenierung von Birgit Minichmayr im Fernsehen gesehen und die letztjährige live, aber alle anderen nicht. Sich in diese große Liste an Schauspielerinnen einreihen zu dürfen, ist sehr schön, aber ich würde nie sagen, ich mache das jetzt wie die oder die, denn das hat ja nichts mit mir zu tun. Es kann nicht darum gehen, etwas nachzuspielen.
Konnten Sie sich je einen anderen Beruf als Schauspielerin vorstellen?
Reinsperger: Nein, ich wollte ganz kurz Kinderärztin werden, aber dann wurde mir im Kochunterricht einmal schlecht, weil sich jemand geschnitten hat. Ich würde mir schon was finden abseits der Schauspielerei, aber es müsste immer etwas Kreatives sein oder mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Ich hoffe aber, dass ich noch sehr lange schauspielern kann.
Was wäre Ihre Traumrolle?
Reinsperger: Ich hatte das Glück, dass ich schon so viele tolle Rollen spielen durfte. Die Medea würde ich z.B. gerne noch ein drittes Mal spielen, am liebsten, wenn ich vielleicht einmal selber Kinder habe, weil mich interessiert, wie sich Bezüge dann ändern. Wenn ich alt bin, wäre die Martha in »Wer hat Angst vor Virginia Woolf« spannend. Ich lasse mich grundsätzlich gerne überraschen und möchte mich nicht vor etwas verschließen. Mit der Buhlschaft habe ich natürlich nicht gerechnet. Dass so was kommt, ist umso schöner. Ich bin sehr neugierig auf alles.
Sie stehen ja sehr im Rampenlicht – auf der Bühne und medial. Wie bleiben Sie authentisch und behalten Bodenhaftung?
Reinsperger: Durch meine Freunde, meine Familie – die Menschen, von denen du weißt, dass sie für dich da sind und dich auffangen. Ich freue mich immer, wenn Freunde sagen, du hast dich gar nicht verändert. Die haben auch die Erlaubnis mir eine zu knallen, wenn es nicht mehr so sein sollte. Ich arbeite aber so gerne und das erdet mich wahnsinnig. Manche glauben, dass Schauspielerei sehr viel Öffentlichkeit und Ruhm bedeutet, aber in Wahrheit ist es vor allem viel Arbeit, die sehr viel Disziplin erfordert.
Wie schafft man es, nach der Vorstellung nach Hause zu gehen und die Rolle abzulegen?
Reinsperger: Ich vergleiche das gerne mit Sport: Wenn man lange trainieren war, muss man nachher auch dehnen und runterkommen, sonst bringt Duschen gar nix. So ein bisschen ist es bei mir auch, ich brauch’ Zeit, um runterzukommen und gar nicht nur psychisch, sondern vor allem auch körperlich. Jede Aufführung ist wie ein Hahnenkamm-Rennen. Die Schifahrer fahren im Ziel ja immer auch so ein Schlauferl, bevor sie stehen bleiben. Und bei mir ist dieses Schlauferl, nach der Vorstellung noch mit den Kollegen zu reden, vielleicht was trinken zu gehen. Mal geht es schneller, mal langsamer, aber ich kann nicht sofort nachher schlafen gehen.
-
Cover Story: Arbeiten zwischen Casual Friday und Nadelstreif
BewerberInnen, die beim Vorstellungsgespräch große Reden schwingen und den Lebenslauf aufpolieren; Personalchefs, die von Flexibilität und Freiheit schwärmen; Flipflops statt Anzug: Im Joballtag ist der Grat zwischen Schein und Sein…BewerberInnen, die beim Vorstellungsgespräch große Reden schwingen und den Lebenslauf… -
Im Interview: Stefanie Reinsperger – „Jede Aufführung ist wie ein Hahnenkamm-Rennen“
Sie gilt als eine der erfolgreichsten österreichischen Nachwuchs-Schauspielerinnen und spielt diesen Sommer die begehrte Rolle der Buhlschaft im Jedermann in Salzburg. studio! hat mit Stefanie Reinsperger über Image, Authentizität und…Sie gilt als eine der erfolgreichsten österreichischen Nachwuchs-Schauspielerinnen und spielt…