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studio! Ausgabe 2/2019

Cover Story: Wo Erfolg am schönsten ist

Wenn sich Ästhetik und Nachhaltigkeit treffen, klappt das Geschäft mit dem Schönen: Was ist dran an dieser Hypothese? studio! befragte erfolgreiche Unternehmen und erfuhr von großen Chancen für Mensch und Umwelt.

von Mascha K. Horngacher

Ästhetik beginnt bei der Verpackung, und da gilt zum Beispiel: Karton ist nicht gleich Karton. Vom »First Moment of Truth« – dem ersten Kontakt mit einem Produkt im Geschäft – spricht Regina Knoll, Marketing Manager EMEA bei WestRock, einem Anbieter von Papier- und Verpackungslösungen. »Mit der Verpackung kann ein Produkt auf eine höhere, anspruchsvollere Ebene gebracht werden, und über sie entscheidet sich der Kunde oder die Kundin für das eine oder ein anderes Produkt.« Ein No-Go für die allermeisten KonsumentInnen ist eine beschädigte Verpackung – eine Beobachtung, die wohl viele von uns schon an sich selbst gemacht haben.

Bei der Hülle eines Produktes geht es neben der Unversehrtheit natürlich auch um die Optik. Ein durchdachtes Design kann für sich sprechen – und auch das Material selbst zählt. Umweltschonende Verpackungen aus nachwachsenden Ressourcen haben an Bedeutung gewonnen und tragen zum Schutz unseres Ökosystems bei.

Wert durch Design

Von dieser Nachfrage berichtet auch der Designer Daniel Zeisner. Er gestaltet »affordable luxury« und »ganz normale Produkte«, wie er sie nennt. Der Anspruch von ihm und seinem Team ist, jedes Produkt – egal ob es vier Euro oder vier Millionen Euro kostet – durch Design wertvoll zu machen. Und zwar mit der Trias aus charakteristischer Gestaltung, Funktionalität und erlesenem Material; eine Kombination, die aus einem funktionalen Produkt etwas Besonderes mache. »Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle, vor allem für jüngere Unternehmen«, erzählt Daniel Zeisner. Aber auch Global Player zeigten in der Zusammenarbeit größeres Interesse an umweltschonenden Verpackungen und innovativen Lösungen.

(c) Riess Kelomat GmbH

Design für mehrere Generationen

Dennoch: »Je preissensitiver ein Produkt ist, desto schwieriger lassen sich diese Aspekte bei Auftragsarbeiten platzieren.« Bei Zeisners eigenen Kreationen steht Nachhaltigkeit jedoch immer im Fokus. Der Designer spricht von Biopolymeren bei Farbstoffen, nachwachsenden Rohstoffen oder Naturmaterialien wie Stein und materialgerechtem Arbeiten ohne Verschwendung. Die eigene Tischkollektion aus Marmor und Onyx beispielsweise ist preislich eher im Luxusbereich angesiedelt, hält aber für die nächste und übernächste Generation. Seinen eigenen ökologischen Fußabdruck hat Zeisner durch neue Kommunikationswege mit KundInnen auf der ganzen Welt erheblich verkleinert: Geflogen wird nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Die meisten Besprechungen werden über Skype oder Facetime organisiert, sogar eine ganze Klasse von Studierenden brachte er im Reisebus statt im Flieger zu einem Kunden in die Schweiz.

»Betrachtet man die weltweite Warenproduktion, ist Nachhaltigkeit leider noch kein großes Thema«, bedauert der Wiener Designer. Dennoch stellt er auf internationalen Messen vermehrt das »richtige Mindset« bei Herstellern fest. Jetzt heiße es für die kreativen Köpfe, Hand in Hand mit der Industrie zu gehen.

Ähnlich verhält es sich bei der Innenarchitektur, berichtet Bernhard Hiehs, Geschäftsführer in fünfter Generation beim Innenarchitektur-Büro Derenko, das auf Hotellerie und Gastronomie spezialisiert ist. Das Unternehmen hat das Café im Kunsthistorischen Museum Wien, die VIP-Lounge am Salzburger Flughafen und das Thermenhotel Sonnreich in Loipersdorf gestaltet. Derenko sieht sich als Full-Service-Agentur, entwickelt, berät konzeptionell und gestaltet Innenräume. »Wir müssen bei der Optik den Spagat zwischen Funktionalität und Ästhetik schaffen – und nicht zuletzt geht es um die Wirtschaftlichkeit«, sagt Hiehs. Darunter versteht er kurze Wege für MitarbeiterInnen ebenso wie eine schnelle Amortisation der Investition. Wenn sich diese schnell rechnen muss, dann steht der Einsatz von nachhaltigen Materialien in der Innengestaltung nicht an erster Stelle.

(c) Zeisner Design

Design lädt zum Verweilen ein

Was seine KundInnen vereint, ist der Wunsch nach einer Atmosphäre zum Wohlfühlen, verrät Bernhard Hiehs. »Design steuert unbewusst und lädt zum Verweilen ein – wenn das die Absicht ist.« Auch Gegenteiliges könne mit der Gestaltung erzielt werden. Gastronomen und Hoteliers müssen jedoch in einer hohen Mitbewerberdichte bestehen und es schaffen, dass Gäste wiederkommen. Über eine gut designte Innenausstattung können sich Unternehmen differenzieren – manche Projekte tragen sich dadurch auch selbst.  »Die Menschen informieren sich online, schauen sich Fotos von Hotelzimmern oder Restaurants an und lassen sich davon zu einem Besuch inspirieren«, erklärt der  Innenarchitektur-Experte. Die Atmosphäre wird unter anderem bestimmt von der Akustik oder der Wirkung von Farb- und Materialkompositionen. Und dann gibt es noch ganz simple Design-Orientierungshilfen: etwa, dass Menschen lieber auf Bänken sitzen als auf Stühlen.

Beim Stichwort Stühle kommt Bernhard Hiehs wieder auf das Thema Nachhaltigkeit zu sprechen: »Kein Stuhl wird heute mehr repariert, das rechnet sich nicht. Wir leben in Zeiten der schnellen Veränderung, die Industrie hat sich darauf eingestellt.« Dass der Markt jedoch begonnen hat, sich in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern, daran glaubt der Derenko-Chef.

(c) Zeisner Design

Ressourcenschonende Produktion

Die Entwicklung weg von der Wegwerfgesellschaft zeichnet sich auch an einem anderen Ort in Österreich ab: in Ybbsitz im niederösterreichischen Mostviertel, wo seit 1550 Kochgeschirr und heute in neunter Generation Email-Utensilien hergestellt werden. Die Fertigung bei Riess Kelomat weist eine positive CO2-Bilanz auf. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette arbeitet der Betrieb ressourcenschonend und optimiert laufend – ein eigenes Umweltprogramm wacht darüber. Julian Riess leitet mit seinem Cousin Friedrich Riess und seiner Cousine Susanne Riess gemeinsam das Familienunternehmen. Er zeichnet sich für Marketing und Verkauf verantwortlich und stellt erfreut fest, dass die Menschen immer bewusster in Qualität investieren. »Heutzutage ist nicht nur der Preis entscheidend. Der Konsument will wissen, wo und wie produziert wird, er ist vor dem Kauf bestens über das Produkt informiert.« Riess bedient als Erzeuger den Handel, soziale Medien transportieren die Botschaften über das nachhaltige Emailgeschirr zu den EndkundInnen.

Spricht der Marketing-Leiter von Nachhaltigkeit, ragt ein Aspekt heraus: Gutes Design, so Julian Riess, ist nachhaltig. Er veranschaulicht das anhand einer Schöpfkelle: Sie wurde vor hundert Jahren gestaltet und ist nach wie vor im Sortiment. »Ästhetik und Funktionalität in Kombination sind toll; erst recht, wenn es gelingt, Klassiker zu erzeugen.« Das sei Nachhaltigkeit par excellence – doch was zum Klassiker wird, entscheiden letztlich die KundInnen.

(c) Riess Kelomat GmbH

Ausgezeichnetes Design

Um sich von der Konkurrenz abzuheben, begann Riess bereits in den 1970ern, neue Wege zu gehen und kooperierte mit ProduktdesignerInnen. Dies wird auch heute noch praktiziert. Das Resultat: Regelmäßig werden Riess-Produkte mit Designpreisen ausgezeichnet – ein wertvolles Marketinginstrument, erzählt Julian Riess. Es hilft, Produkte erfolgreich am Markt zu positionieren, neue Vertriebskanäle zu erschließen und designaffine Menschen zu erreichen. Sogar Museumsshops verkaufen mittlerweile Riess-Emailgeschirr.

Nachgefragt im Wiener MAK – Museum für angewandte Kunst –, was es mit Design, Mensch und Umwelt auf sich hat, zitiert Kuratorin Marlies Wirth den bekannten Slogan »form follows function«. Design sei immer gekoppelt an die Ästhetik der Dinge und an Gestaltungsprozesse. »Weit über die individuelle Benutzung hinaus ›funktionieren‹ Dinge und Prozesse auch in Bezug auf Wirtschaft, Umwelt und Politik. Form und Material können ein und dasselbe Objekt umweltbelastend oder nachhaltig machen – bei gleicher Funktion.« Marlies Wirths Auffassung nach kann Design Lösungen für komplexe Situationen und Herausforderungen anbieten. Das Design von Orten, Dingen oder sozialen Gefügen könne nachhaltig Veränderung bewirken. Es kann uns zum Beispiel dazu bewegen, weniger zu konsumieren, unsere Dinge zu pflegen und zu reparieren.

(c) MAK/Georg Mayer

Die Epoche, in der Funktionalität das einzige Kaufkriterium ist, ist vorbei. Werden Ästhetik und Funktionalität zusammengeführt, dann ist das per se nachhaltig – darin sind sich Julian Riess und Daniel Zeisner einig: Denn wenn jemandem ein Produkt gefällt, dann weckt es Begehren, man sieht es sich jeden Tag gerne an und möchte lange Freude damit haben. Je schöner also etwas ist, je lieber ich es verwende, desto nachhaltiger ist es. Was Designer Zeisner bei Alltagsgegenständen zusätzlich schätzt, ist Modularität. Wenn Komponenten ausgetauscht werden können, klappe es mit der Langlebigkeit noch besser.

Für Unternehmen zählt Design jedenfalls zu einem wichtigen Differenzierungsmerkmal. In Zeiten einer vermehrt visuell gesteuerten Gesellschaft kann ein gut designtes Objekt beim kritischen Moment, dem ZMOT, überzeugen. Dieser »Zero Moment Of Truth« steht für das veränderte Einkaufsverhalten: Heutzutage wissen potentielle KundInnen durch Internetrecherche schon vor dem Kauf alles über das Produkt. Dabei können sie die Beurteilungen unbekannter Dritter lesen, die bereits ihren »Second Moment Of Truth« hatten und von ihren Nutzungserfahrungen berichten. Die Wahrheit ist: Gute Qualität – für Mensch wie Umwelt verträglich – und Liebe zum Detail lohnen sich.

(c) MAK/Georg Mayer

»Genuine Verantwortung der Unternehmen«

Wie werden Produkte hergestellt? Wie stark wird die Umwelt dadurch belastet? Werden in den oft global verzweigten Wertschöpfungsketten international gültige  Arbeitsschutzstandards eingehalten und die UN-Menschenrechte beachtet? Am Center for Corporate Governance & Business Ethics (CGBE) des Research Clusters der FHWien der WKW beschäftigen wir uns mit diesen Fragen und untersuchen den ökologischen und gesellschaftlichen »Fußabdruck« von Produkten.

Häufig wird von Unternehmen behauptet, dass die eigentliche gesellschaftliche und ökologische Verantwortung bei den KundInnen liegt – also bei uns allen: Wenn wir Produkte wollen, die ökologisch und gesellschaftlich nachhaltig sind, dann müssten wir eben solche kaufen. Mit dieser Behauptung machen es sich Unternehmen zu einfach. Natürlich können wir als KundInnen durch unsere Kaufentscheidungen künftige Produktionsentscheidungen beeinflussen. Nur ist das gar nicht so einfach. Wer weiß z. B. genau, unter welchen Bedingungen die Kleidung, die man trägt, produziert wurde, wie die Wertschöpfungskette im Detail aussieht und wie die Umwelt durch die Herstellung belastet wurde?

KäuferInnen werden im Dunkeln gelassen

Nun wird argumentiert, dass man sich darüber ja im Internet informieren könne. Grundsätzlich stimmt das. Manche Unternehmen stellen mittlerweile für einige Produkte Nachweise auf ihren Websites zur Verfügung. Aber es sind eben nur einige Unternehmen und sie tun dies auch nur für manche Produkte. Überwiegend werden wir als KäuferInnen über die Produktionsweisen und den Einfluss, den Produkte auf Umwelt und Gesellschaft haben, im Dunkeln gelassen. Eben deshalb finde ich es richtig, von einer Verantwortung der Unternehmen zu sprechen und diese in die Pflicht zu nehmen. Die Verantwortung der KonsumentInnen ist wichtig, kann aber unter den gegebenen Umständen kaum realisiert werden und reicht deshalb nicht aus. Es müssen die Unternehmen sein, die die Einhaltung von Menschenrechten in ihren Wertschöpfungsketten garantieren und dafür Sorge tragen, dass ihre Produktionsweisen die Umwelt möglichst wenig belasten.

Die Sache mit dem Preis

Und dann ist da noch die Sache mit dem Preis: Wir können als KonsumentInnen oft den ökologischen und gesellschaftlichen »Fußabdruck« verringern und Produkte erwerben, die unter fairen Bedingungen hergestellt wurden. Ich habe dies kürzlich getan und bei einem Schneider um die Ecke einen Anzug maßschneidern lassen. Bei der Auswahl der Stoffe habe ich sehr genau darauf geachtet, wo und wie diese produziert worden sind. Den Schneidermeister kenne ich seit Jahren; er näht zusammen mit einem Mitarbeiter alles selbst. Mein Anzug, ein klassisches dunkelblaues Exemplar, wird wohl nie richtig aus der Mode kommen und, weil die Qualität phantastisch ist, einige Jahre halten. Eine gute Investition also – in ethischer und kaufmännischer Hinsicht. Allerdings hatte dieser Anzug auch seinen Preis. Es wäre anmaßend zu fordern, alle Welt solle Maßanzüge tragen. Diese können sich nur Privilegierte leisten. Alle anderen müssen den Weg ins Kaufhaus antreten. Was sie dort finden, liegt in der genuinen Verantwortung der Unternehmen.

Markus Scholz ist Professor für Unternehmensethik und leitet das Competence Center for Corporate Governance & Business Ethics an der FHWien der WKW.