Um Ihre Arbeitsumgebung beneiden Sie sicher viele. Wann hat Ihr Interesse für die Kunst begonnen?
Haag: Das Kunsthistorische Museum ist für mich der schönste Arbeitsplatz der Welt und ich glaube, auch für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Meine Auseinandersetzung mit Kunst hat schon in meiner Kindheit begonnen. Ich bin in einer sehr kunstsinnigen Familie aufgewachsen und meine Eltern haben uns Kinder immer zu den Bregenzer Festspielen, in Ausstellungen, in Konzerte und ins Theater mitgenommen. Meine Eltern haben auch ein bisschen Kunst gesammelt und ich hatte das Glück, im Gymnasium eine sehr, sehr gute Professorin gehabt zu haben, die mein Interesse an der bildenden Kunst und der Kunstgeschichte sehr gefördert hat. Als es dann an die Wahl des Studiums ging, war für mich klar, dass ich bei der Kunstgeschichte bleiben möchte.
Wie kann man denn den Sinn für Kunst und Ästhetik vermitteln?
Haag: Es braucht ein grundsätzliches Sensorium, um sich auf schöne Dinge, auf Kunst und Kultur einzulassen und sich damit zu beschäftigen. Je mehr man sich damit auseinandersetzt, umso tiefer dringt man auch in die Materie ein, desto mehr Feinnervigkeit entwickelt man dafür. Und wie bei so vielem im Leben braucht es dieses Gespann aus Fordern und Fördern. Wenn ich grundsätzlich offen durchs Leben gehe, dann komme ich an der Kunst nicht vorbei. Wenn ich mich dann frage, was mich anspricht, dann öffnet sich ein sehr weites Feld.
In welchen Bereichen Ihres Lebens spielen Ästhetik und Schönheit eine Rolle?
Haag: Eigentlich in meinem gesamten Alltag. Ich bin in der glücklichen Lage, dass in meiner beruflichen Tätigkeit und in anderen Funktionen, die ich innehabe, Ästhetik und Schönheit immer eines der Grundthemen ist. Man darf sich allerdings nicht vorstellen, dass mein privater Alltag durchdesignt und nur von Ästhetik geprägt ist – ich glaube, ich führe ein ganz durchschnittliches Leben. Aber ich gehe mit offenen Augen durch die Welt und werde von visuellen Reizen sehr angesprochen.
Wie gestaltet sich die Wechselwirkung zwischen bildender Kunst und den jeweiligen gesellschaftlichen Schönheitsidealen?
Haag: Die Wechselwirkung ist sehr stark. Die Bildende Kunst visualisiert sehr oft Schönheitsideale, aber es geht auch darüber hinaus um die Bereiche von Mode oder Werbung. Die dünnen Mädchen und Frauen mit Kleidergröße null entsprechen ja überhaupt nicht der Realität und sind auch weit davon entfernt, ein echtes Ideal zu sein. Trotzdem wird das propagiert. Künstler haben sich bei der Abbildung des menschlichen Körpers immer im Spannungsfeld zwischen Realität und Idealbild bewegt. In der Renaissance wurden die idealen Proportionen des menschlichen Körpers wieder zum Maßstab. Im Barock bricht dann das pralle Leben herein. Wenn man »Das Pelzchen« von Rubens hier bei uns im Haus betrachtet, wo er seine Frau als Liebesgöttin überhöht, aber gleichzeitig sehr naturalistisch darstellt, dann sieht man eine Frau in all ihrer fleischlichen Sinnlichkeit, mit all den Dellen, die ein Frauenkörper eben haben kann. Und sie galt als die schönste Frau ihrer Zeit. Was ich tröstlich finde, ist, dass Schönheitsideale etwas sehr Zeitgeistiges sind und sich über die Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wieder verändern.
Kann Kunst in diesem Punkt jungen Frauen dabei helfen, ihren Körper wohlwollender zu betrachten?
Haag: Es ist schön, wenn man mit Jugendlichen ins Museum kommt und anhand dieser Aktdarstellungen über das Selbstbild, die positiven Seiten, die man an sich sieht, spricht. Es ist gut, wenn man über den Weg der Kunstvermittlung thematisieren kann, dass es nicht ein Idealbild der schönen Frau gibt, das für alle Zeit gilt, sondern dass sich das immer wieder ändert. Gerade im Zeitalter des Selfies ist das etwas ganz Wesentliches.
Welche Bedeutung haben die sozialen Medien in einem modernen Museumsbetrieb?
Haag: Neue Medien sind eine Herausforderung, aber in erster Linie eine große Chance. Zusätzlich zum physischen gibt es jetzt auch den virtuellen Museumsraum, wo sich neue Möglichkeiten der Begegnung mit Kunst auftun. Man kann damit natürlich jüngere Leute ansprechen, die sonst nicht ins Museum kommen würden. Zum Beispiel bewerben wir unsere »Kunstschatzi«-Events ausschließlich in den sozialen Medien und es ist schön zu sehen, wie die jungen Menschen auf die Kunst reagieren, wenn sie dann bei uns im Haus sind.
Hier im Kunsthistorischen Museum läuft aktuell auch eine Mark-Rothko-Schau. Worin liegt für Sie die Schönheit moderner Kunst?
Haag: Das ist für mich gleich wie bei der alten Kunst: darin, dass sie mich in ihrer ganz spezifischen Schönheit berührt und anspricht. Das kann bei Rothko eine unglaublich differenzierte, sehr sensible und assoziative Farblichkeit sein, das können aber auch schöne Formen, schöne Menschen, schöne Gegenstände sein. Da unterscheide ich nicht zwischen alter und moderner Kunst – nur, dass ich von alter Kunst mehr verstehe.
Haben Sie ein Lieblingskunstwerk oder ist es wie mit den eigenen Kindern, die man alle gleich liebt?
Haag: Sie sagen es. Ich habe natürlich nicht zwei Millionen Lieblingskunstwerke, aber es gibt viele, die zu meinen absoluten Lieblingen gehören. Je nach meiner persönlichen Stimmung und Verfasstheit zieht es mich einmal dahin und einmal dorthin.
Welche Kunstwerke sind das?
Haag: Ich habe zwei Lieblings-Elfenbeinkünstler. Der eine ist der »Furienmeister«, der um 1600 ganz bizarre, aber unglaublich schöne und anrührende Figuren geschaffen hat. Der andere ist Matthias Steinl, der Kammerbeinstecher bei Leopold I. war und diese wunderbaren Reiterstandbilder geschaffen hat, die Weltwunder der Elfenbeinkunst sind und an denen ich mich nicht sattsehen kann. In der Gemäldegalerie ist einer meiner »Alltime Favorites« »Samson und Delilah« von van Dyck. Der Moment, in dem dieser Hüne, dieser Kraftlackel begreift, dass er von der Frau, die ihn liebt, verraten wurde – wenn man ihm in die Augen schaut, bekommt man Gänsehaut. Verrat in der Liebe, in der Freundschaft, im Beruf gehört zu den elementarsten Katastrophen des menschlichen Daseins.
Welche Wunschausstellung würden Sie noch gerne gestalten?
Haag: Ich habe in den vergangenen elf Jahren bereits viele Wunschausstellungen gestalten dürfen. Eine Ausstellung, die ich wahnsinnig gerne gemacht hätte, aber jetzt zumindest in diesem Haus nicht mehr machen kann, ist eine Ausstellung über englische Malerei. Ich liebe sie, weil sie von hoher malerischer Qualität und von einer unglaublichen Psychologisierung ist. Mitte Oktober eröffnen wir unsere Ausstellung zu Caravaggio und Bernini, das wird definitiv meine letzte Ausstellung im Kunsthistorischen Museum sein und damit schließt sich für mich ein sehr reicher, schöner und erfüllender Bogen an Ausstellungstätigkeiten. Das erfüllt mich wirklich mit Freude, Stolz und Glück und ich kann mit hoch erhobenem Haupt in die Zukunft blicken.
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