Herr Heritsch, Sie haben sich Ihr Leben lang weitergebildet. Setzen Sie sich eigentlich auch heute noch manchmal in Lehrveranstaltungen der FHWien der WKW?
Michael Heritsch: Das habe ich früher immer wieder gerne gemacht. Mittlerweile muss ich aber damit leben, dass meine Rolle das nicht ohne Weiteres zulässt. Es besteht die Gefahr, dass die Lehrperson meint, sie wird von mir kontrolliert. Und das will ich nicht.
Machen wir einen Zeitsprung zurück in die Jahre 1997 bis 2001, als Sie selbst hier studiert haben. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?
Heritsch: Ich war damals beruflich schon sehr intensiv eingesetzt, hatte viele Auslandsreisen zu bewältigen und habe während des Studiums zweimal den Job gewechselt. Ich habe ein paar Mal sogar mit dem Gedanken gespielt, das Studium aufzugeben, weil es einfach zu viel war. Dank einer ganz lieben Studienkollegin, die mich begleitet und motiviert hat und mit der ich bis heute eng befreundet bin, ist mir dieser Kraftakt gelungen. Es war eine mühsame, aber rückblickend auch schöne und natürlich spannende Zeit.
Lag es vor allem am Job, dass Sie an Ihre Belastungsgrenze gegangen sind – oder auch daran, dass die FHWien noch nicht so recht wusste, in welchem Rahmen man ein berufsbegleitendes Studium anbietet?
Heritsch: Das lag an der Kombination von Familie, Beruf und einem Lehrplan, der sehr prall gefüllt war. Natürlich war alles viel chaotischer als heute, aber das war nicht störend. Ganz im Gegenteil: Man hat so eine Start-up-Mentalität – wie man es heute nennen würde – gespürt. Heute reduzieren ja viele ihre Wochenarbeitsstunden, wenn es ans Ende des berufsbegleitenden Studiums geht. Das war damals keine Option.
Würden Sie als heutiger Student die Arbeitszeit reduzieren?
Heritsch: Für mich käme das nicht infrage, da bin ich einfach aus einer anderen Generation. Ich hatte immer Arbeitszeitmodelle, bei denen es weder Start- noch Endzeit gab, sondern die Ergebnisse gezählt haben, egal, ob sie in zwei oder zwanzig Stunden erreicht wurden.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen dem Studium damals und heute? Oder anders gefragt – was sind die wichtigsten Entwicklungen?
Heritsch: Ich habe Unternehmensführung studiert. Das würde ich auch heute wieder machen. Wer heute studiert, hat mehr Auswahlmöglichkeiten und kann sich früher spezialisieren. Mein Jahrgang war erst der zweite des Studiums. Da haben manche Lehrenden noch nicht so recht gewusst, wie sie mit den Erwachsenen umgehen sollen. Wir waren bekannt als eine recht schwierige Gruppe, weil alle schon tief im Beruf verwurzelt waren – und zwar durchaus erfolgreich. Und wenn sich dann einer vorne hingestellt und auf Schule gemacht hat, hat das durchaus Gegenreaktionen hervorgerufen. Heutige Studierende würden sich so etwas ohnehin nicht bieten lassen. Die didaktischen Methoden haben sich in 25 Jahren komplett gewandelt – der Unterricht ist heute viel abwechslungsreicher.
Und die Lehrenden haben mehr Tools zur Verfügung – auch technische. Welche Tools von heute hätten Sie sich damals gewünscht?
Heritsch: Tools? Ich wäre schon froh gewesen, wenn es eine ordentliche Bibliothek gegeben hätte! Damals sind einfach ein paar Bücher rumgestanden und das war’s. Es gab auch zu wenige Kopierer, einer hat für alle im Büro kopiert. Wir haben unglaublich viel Geld für Bücher ausgegeben – da kommst du dir vor wie aus der Steinzeit, wenn du daran denkst, wie das damals war. Aber: Schwierigkeiten sind auch dazu da, überwunden zu werden.
Um noch etwas weiter in Ihrer Karriere zurückzugehen: Gestartet haben Sie Ihre Laufbahn beim Bundesheer, wo Sie nach dem Grundwehrdienst geblieben sind. Wie haben Sie diese zwölf Jahre geprägt?
Heritsch: Mir wird immer wieder gesagt, dass man mir das Militär anmerkt. Vielleicht, weil ich wenig diplomatisch bin. Ich sage, was ich möchte, und auch, was ich nicht möchte, und nenne das Klarheit. Beim Militär gibt es kein »vielleicht« oder »ein bisschen«. Und: Ich habe dort ein unendliches Faible für Pünktlichkeit entwickelt. Wer zu spät kommt, hat bei mir ein Problem.
Warum haben Sie die militärische Laufbahn verlassen?
Heritsch: Mir hätten dort die Gestaltungsmöglichkeiten gefehlt. So gesehen war die Bildungsbranche eine gute Entscheidung. Den Austausch mit den Experten vom Heer pflege ich aber bis heute. Mir ist es wichtig, alles aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Ein Militärjurist wird mit einer gewissen Strenge gesetzliche Grenzen betrachten. Meine eigene Perspektive würde ich dagegen eher als praxisnah und menschenfreundlich beschreiben.
Gilt das auch für Ihre Rolle als Führungskraft?
Heritsch: Meine Aufgabe ist es, Strategien zu entwickeln, Strategien umzusetzen und zu schauen, dass die Fähigkeiten des Teams optimal zur Geltung kommen. Dabei habe ich ein Grundvertrauen in die MitarbeiterInnen hier, denen ich gerne so viel Freiraum wie möglich lasse. Mikromanagement (ein von ständiger Kontrolle geprägter Führungsstil, Anm.) ist mir dagegen verhasst. Mein Motto lautet: Leben und leben lassen.
Sie wurden von Leadersnet zweimal hintereinander zum Krisenmanager des Jahres im Bereich Bildung gewählt. Für welche Entscheidungen wurden Sie da ausgezeichnet?
Heritsch: Es war ja schon immer so, dass man zum Führen Strategie braucht und Klarheit. In der Krise habe ich mir dank meiner militärischen Basis vielleicht leichter mit Entscheidungen getan als andere. Ein halbes Jahr vor dem Corona-Lockdown habe ich an einem Militärseminar teilgenommen, das sich »Stabsarbeit« nannte. Wir haben dort gelernt, einen Krisenstab einzurichten und zu führen – was ja im militärischen Bereich nicht anders funktioniert als im zivilen. Man muss spezialisierte Personen finden, ihnen klare Rollen zuweisen, sie koordinieren und dabei zeitlich takten, damit sie gemeinsam die Krise bewältigen können. Ein weiterer Schlüssel in der Krise ist die Kommunikation. Bei uns ging es konkret um die Fragen: Wie behalten wir den Studienbetrieb bei? Und: Wie verhindern wir, dass die Leute in Panik geraten? Wir haben dann natürlich schnell geschaut, dass wir unser IT-Equipment aufstocken. Es gab auch lustige, absurde Momente, als MitarbeiterInnen mit Desktop, Drucker und PC unter dem Arm zum Auto gegangen sind, um daheim weiterarbeiten zu können. Aber: Spätestens drei Tage nach dem Beginn des Lockdowns war die FHWien komplett online.
Die Technik ist eine gute Überleitung, um in die Zukunft zu schauen. Wie werden sich aus Ihrer Sicht große technische Entwicklungen wie KI auf die Zukunft der Bildung, auf diese Fachhochschule und auf die Arbeitswelt auswirken?
Heritsch: Da wird wohl kein Stein auf dem anderen bleiben. Das ist meine tiefe Überzeugung. Alleine die Vorstellung, auf jedem Handy, jedem Tablet jederzeit »KI-Experten« verfügbar zu haben, die mir zu jedem Thema Auskunft geben können, verändert doch alles. Bei diesen Sprachmodellen als gebildeten Begleitern gehört zur Bildung allerdings die Einbildung noch dazu (lacht). Während sich früher die Menschen durch HTML-Programmierkurse gequält haben, kann jetzt die KI auf Befehl zum Beispiel eine Powerpoint-Präsentation oder ein Video erstellen: Momentan probieren wir alle sehr vieles aus.
Gibt es schon konkret geplante Maßnahmen?
Heritsch: Wir werden kommendes Jahr intern einen großen Zukunftsworkshop aufziehen: »Die Fachhochschule 2035«. Denn 2035 wird es uns in der jetzigen Aufstellung vermutlich gar nicht mehr geben. Stattdessen wird es viel mehr Individualismus in den Lernpfaden geben und unmittelbares Feedback durch die KI. Die Lehrpersonen werden zu Coaches werden, die den Studierenden vermitteln, wie sie KI optimal nutzen. – Wir haben außerdem vor drei Jahren eine große Digitalisierungsoffensive bei uns eingeläutet, die wirklich tief in die Struktur des Unternehmens reicht. Die größte Phase dieses Projekts wird heuer abgeschlossen sein, und wir haben jetzt schon begonnen, Projekt-KIs aufzusetzen, die zunächst jene Teilbereiche betreffen, die große Daten- und Informationsmengen umfassen und auswerten.
Sehen Sie die Entwicklung mit KI tendenziell positiv oder mit Skepsis?
Heritsch: Unsere sozialen Fähigkeiten sind durch den Mehr-Einsatz digitaler Tools nicht unbedingt besser geworden. Insofern sehe ich da eine große Herausforderung für die Hochschule der Zukunft.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Auf allen Fotos, die man von Ihnen findet, tragen Sie ein dunkelblaues Jackett und helles Oberhemd. Wie darf man Sie sich denn in der Freizeit vorstellen?
Heritsch: Sie werden lachen. So, wie ich beruflich angezogen bin, gehe ich auch privat weg. Dabei muss ich mich hier wie dort nicht verkleiden. Ich habe aber nicht nur dunkelblaue, sondern auch mittelblaue und graue Sakkos (lacht).
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