Wie wird man ein preisgekrönter Journalist?
El-Gawhary: Dafür gibt es keinen Plan, Journalist wollte ich aber schon immer werden. Nach meiner Matura habe ich mich auf der Münchner Journalistenschule beworben. Leider bin ich bei der Aufnahmeprüfung gnadenlos durchgefallen.
Wie ist es dann weitergegangen?
El-Gawhary: Ich wollte unbedingt Journalist werden und bekam folgenden Tipp: Du musst dich spezialisieren! Daraufhin begann ich, Islamwissenschaft und Politik zu studieren. Während meines Studiums sammelte ich bereits erste journalistische Erfahrung. Für meine Magisterarbeit war ich 1991 in Kairo – und da brach der Golfkrieg aus. Ich rief damals bei der »taz« in Berlin an und fragte: »Braucht ihr jemanden, der von Kairo aus schreibt?« Sie sagten: »Ach, schick mal was.« Das habe ich gemacht und am nächsten Tag hieß es: »Schick doch noch mal was.« Da bin ich für 49 Pfennig die Zeile in den Krieg gezogen.
Wie ist es Ihnen damals gegangen?
El-Gawhary: Mein erster Einsatz war zugleich der Sprung ins kalte Wasser. Es war sehr aufregend, ich hatte keine Erfahrung. Ich bin mit Egon Scotland, einem Kollegen der »Süddeutschen Zeitung«, rumgezogen, der leider später in Jugoslawien erschossen wurde. Wir hatten eine Symbiose, ich sprach Arabisch und er nicht. Er hatte Geld und ich nicht. So waren wir unterwegs, das waren sozusagen meine Anfänge.
Hatten Sie Angst?
El-Gawhary: Ich kann mich erinnern, dass ich im Flugzeug von Kairo nach Jordanien saß – außer mir und zwei, drei anderen Leuten war niemand an Bord. Normalerweise fliegen die Leute ja vom Krieg weg, ich aber flog direkt in den Krieg hinein. Die Fenster am Flughafen waren abgeklebt, ständig wurden Scud-Raketen erwartet. Das war schon unheimlich.
Haben Sie heute manchmal Angst, wenn Sie sich in Krisengebieten bewegen?
El-Gawhary: Sicher habe ich manchmal Angst, aber ich bin vorsichtig. Es gibt keine Geschichte, die es wert ist, dass man sie nicht mehr erzählen kann.
Wie geht man in Krisengebieten mit dem Leid der Menschen um? Möchte man da nicht manchmal das Mikro fallen lassen und lieber helfen? Wie geht man mit der Belastung um?
El-Gawhary: Es gehen mir viele Geschichten sehr nahe – auch, weil ich da, von wo ich berichte, bereits seit 20 Jahren lebe. Ich bin kein Fallschirmjournalist, der einfach über irgendeinem Krisengebiet abgeworfen wird. Ich gehöre nicht zum Wanderzirkus der Kriegsberichterstatter, die heute in der Ukraine und nächste Woche im Kongo sind. Ich gebe einem Menschen, der normalerweise nirgendwo gehört wird, eine Stimme. Und die hört man in Österreich oder Deutschland. Was ich an Geschichten erlebe, geht mir sehr nahe. Meine Therapie ist es, diese Geschichten weiterzuerzählen.
Was macht die Qualität Ihrer Arbeit aus?
El-Gawhary: Die besten journalistischen Geschichten sind für mich solche, die Nähe herstellen. Wenn sich jemand in Österreich in seinen Fernsehsessel zurücklehnt und sich die Frage stellt: Wie würde ich mich an Stelle eines Flüchtlings verhalten? Um das zu erreichen, muss man beide Seiten gut kennen, die, von der man erzählt, und die, der man erzählt. Nur so kommen Geschichten an und werden verstanden.
Sie arbeiten für deutsche und österreichische Medien: Was ist besser?
El-Gawhary: Große Unterschiede gibt es nicht, die österreichische Medienlandschaft kann sich durchaus sehen lassen. Ein Sender wie Ö1 kann sich mit jedem Nachrichtensender im deutschsprachigen Raum messen. Das gilt auch für Medienprojekte wie das »Datum«. Das ist engagierter und toller Journalismus!
Heute nennen Sie sich humorvoll arabischer Piefke. War es schwer für Sie, zwischen den Kulturen, mit einer deutschen Mutter und einem arabischen Vater, aufzuwachsen?
El-Gawhary: Ich bin sozusagen ein 50-jähriger wandelnder Identitätskonflikt. Muss man irgendwo hingehören, und wenn ja, wohin? Diese Fragen lassen einen nie wirklich los. Irgendwann merkst du, dass du es nicht schaffst, dazuzugehören. Mit etwas Glück findest du heraus, dass es auch ein Vorteil sein kann, außen vor zu sein, dass du dir eine Nische suchst, in der du vielleicht Erfolg hast.
Wie hat sich der Journalismus im Laufe Ihrer Karriere verändert und entwickelt?
El-Gawhary: Stark – und das ist gut so! Ich mache seit 20 Jahren Journalismus – und selbst wenn ich meinen Job liebe, möchte ich nicht 20 Jahre lang das Gleiche machen. Es gehört dazu, sich immer wieder neu zu erfinden. Ich fing an mit Print und lernte später Radio zu machen. Beim ORF in Wien bekam ich irgendwann einen zweiwöchigen Fernseh-Crashkurs, dann hat man mich nach Kairo geschickt und gesagt: »Mach mal!« Ich versuche stets, neugierig zu bleiben, das gilt auch für soziale Medien wie Facebook und Twitter. Die politische Landschaft der arabischen Welt bewegt sich ganz stark über diese Dinge.
Halten Sie Social Media für gute journalistische Werkzeuge?
El-Gawhary: Ich halte soziale Medien für sehr befriedigende Instrumente, da sie einen direkten Austausch mit Lesern oder Zuhörern ermöglichen. Ich habe über 30.000 Fans auf Facebook. Es macht mir Spaß, Diskussionen anzuregen und dann zu sehen, wie die Community in einen großen Dialog – auch untereinander – tritt. Facebook spricht ein sehr junges Publikum an, diese Zielgruppe erreiche ich mit der ZiB nicht.
Wie geht es Ihnen mit untergriffigen Kommentaren?
El-Gawhary: Es kommen natürlich besserwisserische, leicht rassistisch angehauchte und islamophobe Kommentare. Dagegen hilft nur eine dicke Haut. Für die einen bin ich der bezahlte Muslimbruder, für die anderen ein Cheerleader des Militärs. Kommen die Vorwürfe von beiden Seiten, mache ich wohl etwas richtig.
Ist das Bücherschreiben, also die epische Breite, ein Kontrapunkt zur Kürze der Social Media?
El-Gawhary: Absolut, vor allem aber ist das Bücherschreiben der Kontrapunkt zur ZiB 1: Erkläre mir den Nahen Osten in 1 Minute 30. Es ist zwar schön, für ein Leitmedium zu arbeiten und somit die öffentliche Meinung zu einem gewissen Grad mitzubestimmen, aber es kann auch hochgradig frustrierend sein. Am schlimmsten ist eine Schaltung in der ZiB 20. Die darf maximal 40 Sekunden dauern. Mein absoluter Liebling war hier eine Doppelschaltung mit Ben Segenreich. Jeder hatte also 20 Sekunden zum Reden. Man sagt nicht viel mehr als »Guten Abend!« und der ORF zeigt: Wir haben einen Mann in Kairo und einen in Tel Aviv. Dagegen gibt es für mich zwei Arten des Ausgleichs: Bücher schreiben und Vorträge halten. Ich komme gerade aus einem Gymnasium und habe dort zwei Stunden lang mit Schülern diskutiert. Das ist hochgradig befriedigend.
Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit ganz allgemein?
El-Gawhary: Wenn ich morgens aufstehe, weiß ich nicht, was mich am Abend erwartet. Es ist aufregend, mit den Weltereignissen mitzuleben. Zugleich ist es natürlich auch anstrengend, weil sich nichts vernünftig planen lässt.
Wie vereinbaren Sie das mit Ihrer Familie?
El-Gawhary: Ganz schlecht. Journalismus und Familie sind eine denkbar ungünstige Kombination. Ein ständiger Konflikt, der sich nicht auflöst.
Was würden Sie JournalismusstudentInnen raten?
El-Gawhary: Bleibt offen für alles Neue und wagt den Blick über die eigene Suppenschüssel hinaus. So erweitert sich der Blick auch im Inneren. Ich würde jedem Studenten, jeder Studentin raten, für eine Weile ins Ausland zu gehen. Die Erkenntnis, dass die Welt nicht überall so tickt wie in Österreich, ist unbezahlbar.
Apropos Studierende: Wie sehen Sie die Bildungspolitik in der arabischen Welt?
El-Gawhary: Bildung in der arabischen Welt ist die größte gesellschaftliche Katastrophe überhaupt. Die meisten Probleme haben direkt mit dem niedrigen Bildungsgrad der Bevölkerung zu tun. Für mich ist es eines der größten Verbrechen dieser Regime, 30 Jahre an der Macht gewesen zu sein und 40 Prozent Analphabeten hinterlassen zu haben. Das zu ändern ist eine Generationenaufgabe und wahnsinnig mühsam. Auch Armut spielt hier eine Rolle. Die Schule ist zwar theoretisch kostenlos, aber alles rundherum kostet: die Stifte, der Transport, die Bücher.
Vermissen Sie etwas aus Deutschland oder Österreich, wenn Sie in Kairo sind?
El-Gawhary: Das schlechte Wetter? – Nein, natürlich gibt es Dinge, die ich hier in Österreich genieße. Die Luft ist frischer und sauberer. Das Leben ist einfacher und aufgeräumter. Das ist schon ganz angenehm, aber auf Dauer fände ich es zu langweilig. Hier hat man eine Handvoll Versicherungen abgeschlossen: Feuer, Wasser, Leben. Ich finde es immer witzig, worüber Leute in Österreich jammern. Gestern hat sich ein Taxifahrer eine Viertelstunde lang über das Verkehrskonzept der Mariahilfer Straße ausgelassen. Wenn das die nationale Diskussion eines Landes ist, dann sagt es auch etwas darüber aus, welche Probleme man nicht hat.
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