Würstelstandl und Maronibrater gehören zu Wien wie das Riesenrad. Essen auf der Straße hat also Tradition. Wenn sich aber jemand hinstellt und Wraps mit Couscous und Gemüse oder Sandwiches mit Pulled Pork (butterweichem, gezupftem Schweinefleisch) verkauft, nennt man das »Street Food« und erklärt es zum Trend. Noch vor einem Jahr hätte mit dem Begriff kaum jemand etwas anfangen können. Heute ist Street Food jedoch in aller Munde.
»Es war schon fast seltsam, dass Street Food in Österreich so gut wie kein Thema war«, meint Daniela Terbu. »Aber heuer hat es plötzlich eingeschlagen.« Terbu gilt als Kennerin der Wiener Gastronomie-Szene: Mit dem Blog »Die Frühstückerinnen« machte sie sich einen Namen, heute leitet sie eine Kommunikationsagentur für kulinarische Themen. Seit dem Frühjahr konnte die Absolventin der FHWien der WKW beobachten, wie Street Food plötzlich zum Modewort wurde und reihenweise Veranstaltungen zu diesem Thema stattfanden: Street Kitchen Food Market, Markterei, Street Food Cinema, Food Truck Park Vienna, Vienna Food Festival et cetera.
Terbus persönlicher Vorstellung von Street Food entsprach es allerdings nicht unbedingt, dafür eine Veranstaltung besuchen zu müssen: »Für mich ist Street Food, wenn ich durch ein Grätzel spaziere, um die Ecke biege und da kocht jemand oder es steht ein Food Truck.« Was ist dann der Unterschied zur traditionellen Wiener Straßengastronomie? »Gute Frage. Der Coolnessfaktor, würde ich sagen. Den Würstelstand am Hohen Markt oder den Leberkaspepi kann man durchaus als Street-Food-Anbieter bezeichnen.«
Von 0 auf 12.000
Mitverantwortlich für den Street-Food-Trend ist wohl Roman Groiss, der an der FHWien der WKW Unternehmensführung studiert hat. Er war es, der mit seinem Unternehmen Mondschein Events im April den Street Kitchen Food Market organisierte und damit 12.000 Besucher an zwei Tagen in die Marx-Halle lockte. »In München hatte ich das Konzept Nachtflohmarkt kennengelernt«, erzählt er. »Als wir in Wien den ersten Mondscheinbazar veranstalteten, wollten wir dort auch Essen anbieten, das man in die Hand nehmen kann.« Die Resonanz der GastronomInnen war groß – und weil auch der Bazar selbst ein Erfolg war, beschloss Groiss, einen Street-Food-Markt abzuhalten.
Rund hundert BewerberInnen für die Standplätze meldeten sich, 30 durften schließlich dabei sein. »Sehr viele, die sich im April bei uns zum ersten Mal als Gastronomen versucht haben, sind seither unterwegs«, meint Groiss. »Und die Street-Food-Märkte poppen wie Schwammerln aus dem Boden.« Im Sommer veranstaltete Mondschein Events dann wöchentlich das Street Food Cinema auf der Hohen Warte. Wie schon im Frühjahr mussten Groiss & Co dabei von den Gästen Eintritt verlangen, um die Kosten zu decken. »Diese Barrieren für Besucher müssen fallen – so kommt kein Marktflair auf, das hat eher Messe-Charakter.« Weil es aber teuer ist, die nötige Infrastruktur nur für Tag X zu schaffen, sieht Roman Groiss die Zukunft nicht in Events, sondern im dauerhaften Betrieb.
Markt statt Messe
Derzeit sucht Groiss eine geeignete Location, um eine Art Markthalle zu betreiben – mindestens einmal pro Woche soll dort auch ein Food Market stattfinden: »So etwas geht in Wien noch ab. In anderen Städten sind solche Märkte auch eine Touristenattraktion.« Zum Beispiel in Berlin, Rotterdam oder London: »Der Street Food Thursday in der Berliner Markthalle 9 ist weit bekannt.«
Eine eindeutige Definition für Street Food hat übrigens auch Groiss nicht parat: »Das ist schwer abzugrenzen. Würstel und Kebab sind klassisches Street Food. Neues Street Food zeichnet sich für mich dadurch aus, dass es in irgendeiner Form nachhaltig ist, oft bio, regional oder gesund – und nicht industriell hergestellt. Wenn eine Firma mit einem Truck am Weihnachtsmarkt aufkreuzt, um industriell produzierte Kässpätzle zu braten, gehört das für mich nicht dazu.«
Essen auf Rädern 2.0
Der Food Truck ist eigentlich der Inbegriff von Street Food: In manchen amerikanischen Städten steht in jeder zweiten Straße ein LKW, aus dem heraus Burritos oder Burger verkauft werden. »Oft gibt es nur einen Gebietsschutz rund um Restaurants«, meint dazu Roman Groiss. Die genauen Regeln sind in den USA aber von Staat zu Staat und von Stadt zu Stadt verschieden. In Wien haben es Food-Truck-Betreiber jedenfalls nicht gerade einfach. Marko Ertl von den »Wrapstars«, den Pionieren der Wiener Food-Truck-Szene, kann ein Lied davon singen. Seit Oktober 2013 betreiben Ertl und zwei Kollegen einen Truck. Den Gästen schmeckte es von Beginn an, der Start war trotzdem nicht leicht. »Um eine Genehmigung für einen öffentlichen Standplatz zu bekommen, braucht man das Einverständnis von circa zwölf Parteien – wenn nur eine dagegen ist, wird’s nix«, berichtet der Gastronom. »Mittlerweile haben wir es geschafft, einen Standort genehmigt zu bekommen, aber können ihn derzeit nicht nutzen – weil es dort keinen Strom gibt.«
Nun könnte man sagen: Wenn es keinen Strom gibt, dann kocht eben mit Gas! Nur: Gas ist nicht erlaubt. »Überall auf der Welt kochen Trucks mit Gas, nur hier nicht«, ärgert sich Ertl. In wenigen Monaten bekommt der Wrapstars-Truck deshalb einen Hochleistungs-Akku, mit dem er von externer Stromversorgung unabhängig wird. Das Grundproblem ist für Ertl, dass die Rechtslage einfach nicht auf Food Trucks mit wechselndem Standort ausgelegt ist: »Die Beamten müssen sich deshalb oft aus dem Fenster lehnen, um uns etwas zu genehmigen – oder sie gehen auf Nummer sicher.« Es gebe auch kooperative Leute auf den Ämtern, nur am Anfang sei davon wenig zu spüren gewesen: »Während die Kollegen aus Deutschland berichtet haben, dass man mit ihnen gemeinsam nach einer Lösung gesucht hat, hat es bei uns eher geheißen: Beweise, dass du dich im Rahmen der Gesetze bewegst.«
Die Straße ist nicht genug
Im ersten Jahr konnten Ertl und Co mangels Genehmigungen nur drei bis vier Mal pro Monat ausfahren. Mittlerweile stehen sie regelmäßig am Rochusmarkt und auf der Freyung, bei Universitäten und bei Events. Dazu kommen private Veranstaltungen wie Firmenfeste. Inklusive Indoor-Catering standen im Oktober ganze 44 Termine auf dem Programm. »Das Tagesgeschäft alleine würde noch nicht zum Überleben reichen«, meint Marko Ertl, »das ist aber normal – auch in den USA machen viele Food Trucks nur ein Drittel des Umsatzes übers Tagesgeschäft, den Rest über Catering und Events.«
Heute haben die Wrapstars mehr Mitarbeiter als Speisen im Angebot. Das Team ist auf neun Köpfe angewachsen, auf der Karte stehen nach wie vor nur drei verschiedene Wraps – vegetarisch oder auf Wunsch mit Fleisch. »Das, was wir machen, können wir dafür besonders gut«, meint Ertl. Alles außer Käse und Wrap-Teig ist selbstgemacht. Dieser Zugang macht für ihn auch den Street-Food-Trend aus: »Viel Handgemachtes, viel Mühe und Gedanken stecken dahinter.«
Definition gesucht
Daniela Terbu kann sich mit »nachhaltig« und »selbstgemacht« als definierende Eigenschaften von Street Food nicht so recht anfreunden: »Das wäre schön, stimmt aber leider nicht. Da kenne ich mich in der Gastronomieszene zu gut aus – nur wenige halten das konsequent durch.« Auf der Suche nach einer Abgrenzung von Street Food fragen wir Fransisca Tan: Sie setzte sich – als eine von wenigen – bereits wissenschaftlich mit dem Thema Essen auseinander (im Bereich Kognitionswissenschaft an der Universität Wien) und organisierte kürzlich die Vienna Food Week mit. »Ich bin fasziniert, was alles als Street Food bezeichnet wird«, meint sie. Sie persönlich verbindet damit Kindheitserinnerungen aus Indonesien, die wenig mit amerikanischen Food Trucks und den jüngsten Veranstaltungen in Wien zu tun haben. »Die Bezeichnung Street Food wird momentan oft für Marketing instrumentalisiert – man erhält eine Einladung zu einem Vortrag und danach gibt es ›DJ und Street Food‹.« Den Trend an sich begrüßt sie aber: »Man muss erst einmal das Kapital haben, um in Wien ein Lokal eröffnen zu können. Jetzt versuchen Leute einen Weg zu erschließen, den es bisher noch nicht gab.«
Eine allgemeingültige Definition für Street Food gebe es nicht, sagt Fransisca Tan. »Wenn ich intuitiv versuche, die Essenz dieses Begriffes festzumachen, ist der Kern die Erfahrung – Street Food ist nicht nur ein solides Essen, sondern spricht auch andere Sinne an. Auch der persönliche Touch ist typisch – am erfolgreichsten sind die, die sagen, dieses Essen steht für mich, für meine Lebenseinstellung, für mein Konzept.« Dahinter liege eine Entwicklung, die nicht nur Street Food betrifft: »Man interessiert sich dafür, von wo das Essen kommt und wer einen da ernährt. Es geht nicht nur um die Qualität, sondern auch um die Menschen dahinter.« Essen sei immer etwas Soziales gewesen, dieser Aspekt ist jedoch in den vergangenen Jahrzehnten oft zu kurz gekommen: »Jetzt wird das vielen Leuten schön langsam wieder wichtiger.«
Essen ist in
Diesen Trend hat auch Eva Fischer wahrgenommen, die nach ihrem Tourismus-Management-Studium an der FHWien der WKW eine der bekanntesten Food-Bloggerinnen des Landes wurde: »Ich beschäftige mich seit ungefähr acht Jahren mit dem Thema Essen und merke, wie ganz allgemein das Interesse dafür steigt.« Als sie vergangenes Jahr für ihre Seite foodtastic.at beim AMA Food Blog Award ausgezeichnet wurde, gab es 600 Einreichungen, heuer gar 800 – das alleine zeigt, wie intensiv sich viele Österreicherinnen und Österreicher mit ihrem Essen auseinandersetzen. »Dass Street Food so gefragt ist, ist nur ein Trend, der sich daraus ergibt. Ein anderer, bereits sehr lange anhaltender, ist zum Beispiel der zu regionalen Produkten. Und es wird noch mehr Trends geben.«
Eine Entwicklung wünscht Fischer sich dabei als ausgebildeter Ernährungs-Coach konkret: »Es ist schon gut, dass jetzt einmal Food Trucks nach Österreich kommen. Aber das Angebot ist noch etwas Burger-lastig, mir fehlen noch die gesunden Produkte: bunte Getreidesalate, asiatisches Fast Food und glutenfreie Angebote. « Aber ob Salat, Wrap, Würstel oder Maroni – gesünder sei es immer, wenn man das Essen bewusst zu sich nehme und etwas entschleunige, meint Fischer. Nicht nur im Restaurant, auch auf der Straße.
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