Manche Fußballfans behaupten, wenn man die Bundesliga-Übertragungen in Deutschland und Österreich vergleicht, entspricht der journalistische Qualitätsunterschied in etwa dem sportlichen. Stimmen Sie zu?
Hackmair: Das kann man schwer pauschalisieren, aber grundsätzlich sind uns die Deutschen sicher einen Schritt voraus. Ich denke aber, dass es mit dem Gesamtprodukt zusammenhängt: Die Spiele in Deutschland sind halt besser, die Stadien sind größer und immer voll. Wenn man im Hintergrund die Dortmunder Westtribüne sieht und hört, wirkt das ganz anders, als wenn 50 Fans irgendwas trommeln. Die Bewertung der Kommentatoren und Moderatoren ist meiner Meinung nach Geschmacksache. Oliver Polzer muss beispielsweise sehr viel Kritik einstecken, mir persönlich taugt er. Und dann gibt es auch ein paar, die mir nicht so gefallen. Ich würde aber nicht sagen, dass die ORF-Kommentatoren grundsätzlich schlechter sind.
Wie bereiten Sie sich auf ein Spiel vor? Wie viel Zeit nimmt das in Anspruch?
Hackmair: Zu Beginn der Saison hat das natürlich länger gedauert, weil ich mich zwei Jahre lang kaum mit der Liga auseinandergesetzt habe. Mittlerweile brauche ich ungefähr einen halben Tag. Ich möchte über jeden Spieler, der für einen Einsatz infrage kommt, ein gewisses Grundwissen haben. Es kann ja vorkommen, dass ein eher unbekannter Spieler eingewechselt wird und ein Tor macht – dann will ich nicht dastehen und sagen müssen: »Von dem hab ich noch nie etwas gehört.«
Viele Spieler kennen Sie persönlich, mit manchen sind Sie auch befreundet. Fällt es Ihnen dadurch schwerer, diese zu kritisieren?
Hackmair: Mit manchen habe ich sogar darüber gesprochen. Die haben dann gefragt: »Was ist, wenn ich mal scheiße spiele?« Naja, dann muss ich das auch sagen. Aber wenn das auf einer sachlichen Ebene passiert, ist es okay.
Als Rainer Pariasek vor wenigen Wochen die Leistung von Austria Wien kritisierte, reagierte Austria-Sportdirektor Franz Wohlfahrt sehr emotional. Sind österreichische Funktionäre und Spieler – vielleicht auch aufgrund der Naheverhältnisse – dünnhäutiger im Hinblick auf Kritik?
Hackmair: Fußballösterreich ist einfach sehr klein, gewisse Reporter bzw. Moderatoren sind immer dabei und gerade bei Auswärtsfahrten verbringt man viel Zeit miteinander. So entstehen Bekanntschaften und Freundschaften, was es natürlich nicht leichter macht. In Deutschland oder vor allem in England sind die Medien viel kritischer. Ich finde es auch sehr wichtig, dass konstruktive Kritik geäußert wird. Damit muss ein Sportdirektor umgehen können.
Endgültig eskaliert ist die Interview-Situation, als Wohlfahrt auf die Unsicherheiten des 19-jährigen Ersatztorhüters Osman Hadzikic angesprochen wurde. Wie »streng« darf man mit jungen Spielern sein?
Hackmair: Natürlich ist es unfair, auf einen 19-jährigen Jungprofi hinzuhauen – aber es war ja eine sachliche Frage. Und egal ob ein Profi jetzt 19 oder 30 Jahre alt ist, er muss damit umgehen können, dass seine Leistung kritisch beurteilt wird. Darum wäre es Aufgabe der Vereine, junge Spieler in den Akademien auf solche Situationen vorzubereiten: Wie geht man mit Kritik um? Wie gibt man Interviews? Leider wird diesbezüglich in Österreich sehr amateurhaft gearbeitet.
Sie selbst haben bereits mit 15 Jahren – aus Eigeninitiative – ein Rhetorik-Seminar besucht.
Hackmair: Einer meiner Mentoren, Walter Oberlechner, hat zu mir gesagt: »Sprache ist das halbe Leben.« Ich habe die Aussage damals nicht wirklich verstanden, aber Sprache und Kommunikation haben mich schon immer fasziniert. Heute weiß ich, was er damit gemeint hat: Nur wenn sich jemand gut ausdrücken kann, ist er in der Lage, eine Emotion zu wecken oder zu motivieren. Egal, wie viel Wissen man hat – ob im Sport oder auch sonst im Leben –, wenn man es nicht rüberbringt, ist es nichts wert. Mit 18 oder 19 habe ich dann auch begonnen, über Dinge zu schreiben, die mich beschäftigen.
Wie haben die Mannschaftskollegen reagiert? Fußballspieler gelten im Allgemeinen nicht unbedingt als große Poeten.
Hackmair: Ich wurde deswegen nie gemobbt oder angegriffen, aber oft belächelt – wegen des Schreibens, des Klavierspielens, des Malens etc. Daran sieht man schon, wie oberflächlich es im Fußball teilweise abgeht.
Nach vier schweren Verletzungen haben Sie 2012 Ihre Karriere im Alter von 25 Jahren beendet. Kurz darauf ist Ihr Buch »Träume verändern« erschienen, in dem Sie sich sehr kritisch über den Profifußball äußern – unter anderem über den »Tunnelblick« vieler Profis. Das Klischee vom engstirnigen Fußballer stimmt also?
Hackmair: Das trifft natürlich nicht auf alle zu, aber in weiten Teilen stimmt es sicher – auch wenn ich das Gefühl habe, dass es langsam besser wird. Es ist völlig verständlich, dass man sich sehr stark auf den Sport fokussiert, denn man braucht diesen Fokus, um an die Spitze zu kommen. Trotzdem hat man während der Meisterschaft sehr viel Freizeit, in der man sich mit anderen Dingen beschäftigen könnte. Ich habe beispielsweise während meiner Zeit als Profi ein Studium begonnen – das kann auch ein super Ausgleich sein, weil man nicht die ganze Woche über ein schlechtes Spiel nachdenkt.
Auch die hohen Gehälter sind ein Thema des Buches.
Hackmair: Ich finde es bedenklich, wenn ein 18-Jähriger mit seinem ersten Vertrag ein Vielfaches von dem verdient, was seine Eltern nach 30 Jahren im Berufsleben kriegen – und das kommt auch in Österreich vor. In dem Alter ist man einfach noch nicht so weit, dass man das richtig einordnen kann – die müssen ja verrückt werden. Und das führt dann dazu, dass sie sich teure Autos kaufen, jeden Tag shoppen gehen und sich nur über solche Dinge definieren.
Sie selbst galten als großes Talent, haben also vermutlich auch nicht schlecht verdient. Wie lange kann man von sechs Jahren als Profi bei Mittelklasse-Teams in Österreich leben?
Hackmair: Ich habe durchschnittlich 50.000 Euro netto im Jahr verdient. Das ist natürlich ein sehr gutes Gehalt, aber nicht so utopisch, wie manche vielleicht glauben. Und von »ausgesorgt haben« kann man bei Weitem nicht sprechen. Aber das ist es ja auch, was ich kritisiere, dass beispielsweise Kollegen gejammert haben: »Wir verdienen eh gut, aber ausgesorgt haben wir damit nicht.« Es kann doch nicht das Ziel sein, dass man mit Mitte 30 ausgesorgt hat.
Hätten Sie das Buch auch veröffentlicht, wenn Sie Ihre Karriere nicht beendet hätten?
Hackmair: Ursprünglich waren die Aufzeichnungen ja nur für mich selbst, eine Art Tagebuch. Die Idee, daraus ein Buch zu machen, ist erst durch einen Freund entstanden, der es gelesen und gemeint hat, ich dürfe es nicht für mich behalten. In erster Linie war es eine Selbsttherapie, um mit dem Fußball abzuschließen, und dann hat es einfach sehr gut gepasst, weil für mich ein neuer Lebensabschnitt begonnen hat. Veröffentlicht hätte ich das Buch wohl auch sonst, aber vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt.
Wären Sie gerne noch aktiv? Sie wären heute möglicherweise ein Teil der umjubelten Nationalmannschaft.
Hackmair: Als ich mir 2008 vor der Heim-EM das Kreuzband gerissen habe, war ich extrem neidisch. Da waren ja doch einige dabei, mit denen ich bei der U20-WM den vierten Platz geholt habe. Nach meiner Karriere habe ich dann eine 15-monatige Weltreise gemacht und ich glaube, dass ich diesen argen Cut gebraucht habe. Ich wollte damals nichts mehr mit Fußball zu tun haben. Jetzt freue ich mich, dass ich ein bisschen Abstand habe, gleichzeitig durch den ORF aber einen neuen Zugang zum Fußball – und vielleicht kann ich dadurch sogar bei der EM dabei sein. Ich hatte eine tolle Karriere und bin sehr dankbar für diese Zeit, aber als ich beim 4:1 in Schweden als Fan dabei war, habe ich mir wirklich in keiner Sekunde gedacht, dass ich gerne unten stehen würde.
Ihr zweites Buch über die besagte Weltreise trägt den Titel »FREIGerEIST«, auch in Ihren Vorträgen und auf Ihrem Blog spielt das Thema »frei sein« eine wichtige Rolle. Unter anderem schreiben Sie: »Frei sein bedeutet, selbst zu bestimmen« – das ist für viele Menschen, gerade im Hinblick auf Ihren Beruf, gar nicht möglich.
Hackmair: Ich würde mich nie trauen, das für alle Menschen zu behaupten. Aber ich denke schon, dass wir in Österreich sehr privilegiert sind und es viele Menschen gibt, die sich einfach nicht trauen, mit etwas aufzuhören, obwohl sie unzufrieden sind. Wir definieren uns sehr stark über Geld und Status und schauen daher auch beim Job vordergründig aufs Gehalt – anstatt einen Job zu machen, bei dem man weniger verdient, dafür aber viel mehr Spaß hat und im Endeffekt glücklicher ist.
Es gibt aber auch in Österreich genügend Menschen, die einfach froh sind, dass sie überhaupt eine Anstellung haben.
Hackmair: Dann sollte man es zumindest schaffen, in seiner Freizeit jene Dinge zu tun, die einem wirklich Spaß machen – anstatt diese mit Sachen zu verbringen, die einem nicht wirklich taugen, die man aber macht, um irgendwelche Rollen oder Vorstellungen anderer zu erfüllen.
Was für ein Gefühl sollten Menschen idealerweise haben, nachdem sie einen Ihrer Vorträge besucht haben?
Hackmair: Ich möchte Träume wecken. Die Zuhörer sollen rausgehen und sich denken: »Hey, ich sollte zumindest einmal darüber nachdenken, wie denn das coolste Leben für mich aussehen könnte.« Viele Menschen sind sich ihrer Träume gar nicht bewusst. Durch unser Bildungssystem werden wir so erzogen, dass wir uns am meisten mit unseren Schwächen beschäftigen müssen, anstatt unseren Leidenschaften nachzugehen. Meine Philosophie ist: Wenn man sich für etwas begeistert, dann wird man sehr gut darin und es rechnet sich irgendwann – auch wenn man dafür mitunter einen langen Atem braucht.
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