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studio! Ausgabe 3/2019

Im Interview: Christoph Strasser – „Ich bettle um Pausen und Schlaf“

Er war der erste Mensch, der das härteste Radrennen der Welt, das Race Across America, in weniger als acht Tagen geschafft hat. 2019 hat der Steirer Christoph Strasser das 5.000-Kilometer-Rennen quer durch den amerikanischen Kontinent zum sechsten Mal gewonnen. studio! hat mit dem Extremsportler über Tempo, Disziplin und Schlafentzug gesprochen.

von Kristina Schubert-Zsilavecz

Wie erholt man sich denn von einem Rennen wie dem Race Across America (RAAM)?

Strasser: Die Regeneration geht über die Jahre hinweg immer besser. Mein Körper hat nach den ersten RAAMs definitiv mehr gelitten, mittlerweile hat er sich daran gewöhnt. Bis ich allerdings wieder auf demselben Leistungslevel wie vor dem Rennen bin, dauert es schon zwei Monate.

Sie haben heuer bereits zum 9. Mal am schwierigsten Radrennen der Welt teilgenommen. Wie kommt man zu so einem extremen Sport?

Strasser: Ich habe den Sport schon als Jugendlicher verfolgt. Aber der eigentliche Auslöser war recht unspektakulär: Wir wollten als Teil eines Viererteams an einem 24-Stunden-Rennen teilnehmen und dann haben zwei Kollegen abgesagt. Wir sind zu zweit übriggeblieben und haben es beide solo probiert. Es war faszinierend zu sehen, wie viel man in 24 Stunden schafft. Ab dem Moment war ich dabei. Als ich dann immer besser wurde, habe ich angefangen davon zu träumen, eines Tages das RAAM zu fahren.

Wie bereiten Sie sich auf ein Rennen wie das RAAM vor?

Strasser: Körperlich ist es ganz normales Radtraining. Ich bin täglich sechs bis sieben Stunden am Fahrrad, bei Schönwetter draußen, bei Schlechtwetter am Heimtrainer. Mittlerweile bin ich schon so viele Jahre dabei, dass ich kein weiteres spezielles Training brauche. Man glaubt oft, dass wir Extremsportler in der Nacht trainieren, Zwölf-Stunden-Ausfahrten machen oder den Schlafentzug üben. Das mache ich alles nicht. Um seine körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern, ist ein Biorhythmus wichtig, also dass man zu normalen Zeiten schläft und trainiert, damit der Körper sich gut regenerieren kann.

(c) Manuel Hausdorfer/Limeart

Und wie arbeiten Sie mental?

Strasser: Vor einigen Jahren hatte ich einen Mentaltrainer, mit dem ich grundsätzliche Fragen geklärt habe wie »Was sind meine Ziele für den Sport?« oder »Wo möchte ich in zehn Jahren stehen?«. Die Antworten habe ich fest in meinem Kopf verankert. Mittlerweile habe ich kein eigenes Mentaltraining mehr. Wenn man sieben Stunden pro Tag alleine am Fahrrad sitzt, muss man schon genug mentale Arbeit leisten, um das zu schaffen.

Machen Sie Ausgleichssport?

Strasser: Nein, leider gar nicht. Da bin ich sicher kein Vorbild. Ich mache zwar ein bisschen Oberkörpergymnastik für eine stabile Wirbelsäule, aber außer Radfahren macht mir kein Sport Spaß.

Was spornt Sie an, 5.000 Kilometer durch die Wüste zu fahren? Ist der Weg das Ziel?

Strasser: Das Ziel braucht man schon, sonst gibt’s keinen Weg zum Ziel. Aber was mich anspornt, ist am größten und wichtigsten Rennen teilzunehmen. Es ist eine Ehre. Daneben gibt es noch persönliche Ziele, wie meine eigene Leistung über die Jahre zu steigern.

Was sind die größten Herausforderungen bei einem Rennen wie dem RAAM?

Strasser: Eine der größten ist es, ein gutes Betreuerteam zusammenzustellen, das auf der menschlichen Ebene funktioniert und wo jeder seinen Job perfekt machen kann. Man braucht Experten vom Sportarzt bis zum Mechaniker. Was von vielen unterschätzt wird, ist der Teamfaktor.

(c) Manuel Hausdorfer/Limeart

Sie haben teilweise aufgrund des Schlafentzugs sogar Halluzinationen auf dem Rad. Das heißt, Ihr Team muss drauf schauen, dass Sie gesund und im wörtlichen Sinn in der Spur bleiben.

Strasser: Ja, absolut, das gegenseitige Vertrauen ist wichtig. Bei vielen anderen Teilnehmern ist es so, dass der Radfahrer der Chef ist, der alle Entscheidungen trifft und die Kontrolle übernimmt. Ich gebe jegliche Entscheidungen ans Team ab, also wann wir Pausen machen, wann geschlafen wird etc. Gerade in den harten Phasen brauche ich auch sehr viel Zuspruch von meinem Team.

Gibt es den Moment während des Rennens, wo Sie das Ganze verfluchen und sich fragen, was Sie da eigentlich machen?

Strasser: (Lacht) Nein, die Warum-Frage taucht nicht auf, aber ich fange an, um Pausen oder Schlaf zu betteln. Das erlaubt mir dann das Team nicht. Um mich bei Laune zu halten, spielen sie Musik, erzählen Witze, lesen mir was vor. So kann ich ohne Pause noch Stunden weiterfahren. Könnte ich alles selbst entscheiden, würde ich für das Rennen wesentlich länger brauchen.

Wo schläft man da überhaupt? Direkt an der Strecke?

Strasser: Wir haben drei Autos dabei, eines davon ist ein Wohnmobil, in dem die Betreuer und ich schlafen. Das Auto wird nach vorne geschickt, sucht einen guten Parkplatz und bereitet alles vor.

Sie erzählen öfter, dass der schlimmste Moment jener ist, wenn man nach einer Stunde Schlaf wieder aufgeweckt wird und weiß, die nächsten 23 Stunden stehen bevor. Was macht man, um diesen Moment zu überwinden?

Strasser: Das ist wirklich der härteste Moment und da heißt es einfach, nicht zu viel darüber nachzudenken, sich aufs Rad zu setzen und in die Gänge zu kommen. Generell ist das Motto, während des Rennens nicht allzu viel zum Nachdenken zu kommen.

(c) Manuel Hausdorfer/Limeart

Essen und trinken Sie während des Fahrens?

Strasser: Ja, aber in meinem Fall nur Flüssignahrung in Form von hochkalorischen Getränken mit Fett, Eiweiß, Kohlehydraten und Elektrolyten. Das ist alles, was ich dort bekomme.

Essen Sie im normalen Leben sehr diszipliniert oder schlagen Sie auch manchmal über die Stränge?

Strasser: Wir kochen immer selbst, es gibt viel Gemüse und Salat, aber ohne spezielle Diäten oder Vorgaben. Ich bin nicht so irre, dass ich mich nur kasteie. Mir ist es schon wichtig, nicht die Freude am Leben zu verlieren.

In Ihrem Job ist Tempo alles. Wo lassen Sie Langsamkeit zu?

Strasser: Ich habe zwar immer viel zu tun, aber es gibt Urlaube, in denen das Rad zuhause bleibt, das Handy ausgeschaltet wird, um mich im Kopf zu erholen. Regelmäßig Langsamkeit und Gemütlichkeit zu zelebrieren ist wichtig.

Wie beurteilen Sie den Trend zu immer extremeren Höchstleistungen im Sport? Spornt das an oder wird den Menschen zu viel abverlangt?

Strasser: Jeder muss für sich selbst wissen, wie weit er gehen will. Ich finde es dann gefährlich, wenn man etwas nur tut, um damit Aufmerksamkeit zu erregen. Ich mache meine Rennen, weil ich sie spannend finde. Wenn die Medien berichten, ist es schön, aber ich mache nichts, nur damit das Interesse größer wird.

Was macht die Faszination solcher Rennen aus?

Strasser: Wir leben komfortabel und viele Menschen haben Berufe, in denen man viel sitzt und sich nicht bewegt. Deshalb sehnen sich viele im Sport nach Erfahrungen, die es im normalen Leben durch unseren Luxus kaum mehr gibt. Das ist der Grund, warum Ultrabewerbe so beliebt sind.

Ist ein Rennen wie das RAAM für jeden schaffbar, der genug trainiert und den nötigen Willen hat?

Strasser: Sicher, vielleicht nicht in acht Tagen, aber ein gesunder Mensch mit entsprechender Vorbereitung kann das RAAM innerhalb der zwölf Tage beenden. Ein Märchen ist allerdings der Glaube, dass sich alles im Kopf abspiele. Ohne körperliche Basis agiert man fahrlässig, man übersteht so ein Rennen nur ohne Folgeschäden und Verletzungen, wenn man topfit ist.

Welche Erfahrungen aus dem Ultracycling können Sie Menschen mit »normalen« Berufen mitgeben?

Strasser: Mich haben vor allem die Phasen, in denen es mir nicht gut gegangen ist, sowie meine Misserfolge viele Lektionen gelehrt. Man kann aber aus Fehlern nur lernen, wenn man sie sich eingesteht und sein Ego nicht zu groß werden lässt. Immer die Schuld auf andere zu schieben geht nicht.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Strasser: Nächstes Jahr werde ich das RAAM auslassen und mich anderen Langstreckenrennen wie dem Race across Italy oder Race around Austria widmen. Wenn man das RAAM fährt, hat man im selben Jahr kaum Zeit für was anderes, weil man im Vorhinein seine Kräfte sparen muss und danach Zeit braucht, bis man wieder fit ist.

Hat Sie »normales« Rennradfahren nie gereizt?

Strasser: Nein, die Vorstellung von hunderten Leuten in der Zielgeraden hat mich nicht gefesselt. Beim RAAM liebe ich den Abenteuerfaktor, man ist Tag und Nacht unterwegs und durchquert einen ganzen Kontinent.

Ein Leben auf dem Fahrradsattel

Christoph Strasser, geboren 1982, wuchs in Kraubath an der Mur (Steiermark) auf. Nach vielen Jahren als Fußballspieler hängte er mit 18 Jahren die Fußballschuhe an den Nagel und widmete sich verstärkt seinem Hobby, dem Mountainbiken. Nach einigen 24-Stunden-Rennen bestritt er als 22-Jähriger 2005 erstmals das Race Across The Alps. Er war der bis dato jüngste Teilnehmer, der das Ziel erreicht hatte – das war nicht nur sein bis dahin größter Erfolg, sondern auch der Beginn seiner Karriere.

Musste er seine erste Teilnahme am Race Across America im Jahr 2009 aus gesundheitlichen Gründen noch abbrechen, überquerte Strasser 2011 als bis dato jüngster Sieger die Ziellinie in Annapolis. 2013 gewann er das RAAM mit historischer Bestzeit, weitere Siege folgten in den Jahren 2014, 2017, 2018 und 2019.

Der Ultraradsportler ist auch als Vortragender tätig und gab im August 2019 sein erstes Buch heraus. Es trägt den Titel »Christoph Strasser. Der Weg ist weiter als das Ziel« und ist im egoth Verlag erschienen.

Das Race Across America (RAAM) ist ein jährlich ausgetragenes, ultralanges Radrennen, das von der Westküste der Vereinigten Staaten zur Ostküste verläuft. Ziel ist es, auf einer jährlich mitunter variierenden Route die Strecke von etwa 4.800 bis 5.000 Kilometern bei einer Gesamthöhendifferenz von rund 52.000 Metern innerhalb eines festen Zeitlimits von zwölf Tagen zurückzulegen.

www.christophstrasser.at

www.raceacrossamerica.org