Mitten in der Stadt Jackson, Mississippi, haben im Sommer 2022 zahlreiche Menschen ihr Zelt aufgeschlagen. Sie haben sich nicht beim Wandern verirrt, sondern sie demonstrieren Tag für Tag gegen Abtreibungen – vor den Toren einer Abtreibungsklinik, und zwar der letzten Mississippis, die wenig später geschlossen wird. Die Frauen, die das Gebäude betreten, werden von den Demonstrierenden angeschrien. Irgendwo dazwischen steht Christophe Kohl. »Das war eine total beklemmende Situation«, schildert der Korrespondent, der seit 2019 für den ORF aus den USA berichtet. »Es war eine der berührendsten Reportagen, an die ich mich erinnern kann.«
Raus aus der Blase Washington D.C.
Mississippi war für ihn Neuland – aber 38 der 50 US-Bundesstaaten hat Kohl mittlerweile besucht; viele privat, viele beruflich. »Wir versuchen, mit dem kleinen ORF-Team so viel wie möglich aus D.C. hinauszukommen«, sagt er. Washington ist nicht nur das Zentrum der Politik, sondern auch der Sitz wichtiger Institutionen wie der Weltbank. »Aber es ist eine Blase und nicht repräsentativ für das Land.« So haben etwa in der Hauptstadt der USA vor drei Jahren 93 Prozent Joe Biden gewählt. Doch landesweit konnte er Donald Trump mit nur hauchdünnem Vorsprung schlagen.
Via Paris nach Amerika
Die Wahl 2020 war auch ein Grund, warum Kohl überhaupt hier ist. »Ich wollte schon immer einmal einen Präsidentschaftswahlkampf in den USA covern«, erzählt er. Dabei startete seine ORF-Karriere an ganz anderer Stelle: Als Praktikant bei Ö3, noch während seines Journalismus-Studiums an der FHWien der WKW. Bei dem Radiosender fand er auch einen dauerhaften Job. »Aber nach einigen Jahren wollte ich mich entwickeln im ORF und ins Ausland gehen.« Die Chance dazu ergab sich in Paris – und vier Jahre später riefen dann die USA. Irgendwann wird wohl die nächste Station folgen, als Korrespondent bleibt man in der Regel nicht ewig in einem Land. Aber davor steigt noch die nächste Präsidentenwahl. Der demokratische Bewerber heißt dabei wohl wieder Biden, der republikanische Trump, GegenkandidatInnen liegen in Umfragen weit abgeschlagen. »Trumps Reden könnte ich oft schon mitsprechen, weil viel Neues kommt nicht mehr«, meint Kohl, der das Interesse an der US-Politik dennoch nicht verloren hat.
Das Salz in der Korrespondenten-Suppe
Zudem bietet das Leben als Korrespondent Abwechslung, auch wenn der thematische Schwerpunkt eindeutig auf der Politik liegt. »Wir berichten über alles, was ein österreichisches Publikum an Nordamerika interessieren kann«, sagt Kohl, und das für alle denkbaren ORF-Formate, vom Ö3-Wecker über die Zeit im Bild bis zu Radio-Journalen. Da steht dann einmal ein Beitrag über die Bedeutung von Fußball in den USA auf dem Programm, eine Geschichte über die 70.000 Obdachlosen in Los Angeles oder eine Reportage aus Utah, wo Kohl den Great Salt Lake beim Austrocknen beobachten kann. Viele der Probleme, die im Zentrum seiner Berichte stehen, betreffen den amerikanischen Alltag: der Drogenkonsum, die schlechte Gesundheitsversorgung oder die Schusswaffengewalt. »Vor Kurzem wurde in der Nähe eine Drogerie ausgeraubt – die stehlen Zahnpasta und Klopapier, aber man kann nichts dagegen tun, weil sie bewaffnet sein könnten.«
»Die Menschen ticken anders«
Aber auch viele positive Facetten hat Christophe Kohl schon kennen und schätzen gelernt: »Die USA bieten auch eine unfassbare Vielfalt an tollen Menschen und Landschaften.« Das gehe vielleicht manchmal unter. »Eine Freundin aus Österreich wollte mich erst gar nicht besuchen, weil sie ein so negatives Bild hatte. Sie ist dann doch gekommen und hat viele gute Bekanntschaften gemacht.« In Summe hat Amerika weniger mit Österreich und Europa gemein, als viele denken, findet Christophe Kohl: »Wir glauben, wir kennen die USA gut, weil sie in der Popkultur so präsent sind. Aber die Menschen ticken anders, das Leben ist ein anderes.« Ein anderes als in Wien, aber auch ein anderes, als Hollywood uns vermittelt.
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