Frau Rohrer, wie wird man eine preisgekrönte Journalistin?
Rohrer: Keine Ahnung. Ich habe ja nur einen Preis bekommen, den Kurt-Vorhofer-Preis …
… und den fürs Lebenswerk …
Rohrer: … ja gut, den fürs Lebenswerk. Aber da steht die Frage dahinter: Wann hört sie endlich auf? Eine gute Journalistin oder ein guter Journalist ist immer mit Leidenschaft bei der Sache. Der ist so fasziniert von dem, was er sieht. Das Schöne an dem Beruf ist, dass ich ihn nie als Arbeit empfunden habe. Wenn man Journalismus mit Leidenschaft betreibt, und das muss man, weil sonst ist er nichts wert, dann ist jeder Tag neu. Für mich waren unerwartete Politiker-Rücktritte das Beste. Da ist niemand gestorben, niemand wurde verletzt – aber du hast einen unglaublichen Adrenalinkick. Weil du in wenigen Stunden umfassend darüber berichten musst.
Welche Talente braucht man im Journalismus?
Rohrer: Neugier. Und Interesse am Menschen, an Geschehnissen. Wenn man dazu noch toll im Fernsehen ankommt oder gut schreibt – voilà. Wegen den Online-Geschichten werden auch Schnelligkeit und Flexibilität immer wichtiger. Es ist oft nicht mehr wahnsinnig wichtig, einen ganzen Bericht durchzukomponieren. Aber du brauchst Kompetenzen.
Welche Kompetenzen sollten in der Ausbildung vermittelt werden?
Rohrer: Jeder sollte technisch die unterschiedlichen Kanäle kennen und beherrschen. Wissen, wie man schreibt, etwas aufnimmt und schneidet, sei es fürs Radio, fürs Fernsehen, fürs Web. Da kann man viel ausprobieren und sich dann spezialisieren. Die jungen Journalisten in Ausbildung sollten sich überlegen: Was macht mir Freude? Wo finde ich mich am ehesten wieder, welches Medium gefällt mir? Wo habe ich einen Adrenalinkick? Darauf kommt es an.
Sollte der moderne Journalist oder die Journalistin nicht mehrere Kanäle bespielen?
Rohrer: Ja, sollte er eigentlich. Aber das wird sich wieder beruhigen. Weil: Wenn ich alle Kanäle bespiele und nicht die Amanpour (Christiane, internationale Chefkorrespondentin CNN, Anm.) bin, die eine ganze Crew dafür hat – follow me on Twitter, like me on Facebook – wenn du das alles allein machen musst, bleibt kaum Zeit für die wirkliche journalistische Arbeit, für die Recherche. Früher hatten wir weniger Kanäle für die Kommunikation, folglich weniger zu tun – und mehr Zeit, uns vorzubereiten. Ein Kreisky hat auch versucht, bei Pressekonferenzen Worthülsen und Werbebotschaften anzubringen. Da wurde fundiert nachgefragt, ob das, was er uns erzählt, die Wahrheit ist. Das waren Duelle, inhaltlich auf Augenhöhe. Einmal war eine Journalistin dabei den Tränen nahe. Nicht weil er sie schlecht behandelt hat, im Gegenteil. Sondern weil sie so eine Wut hatte, dass sie nicht weiterkommt. Aber sie hat es versucht. Das ist Qualitätsjournalismus! Das fehlt immer öfter, das kann ein demokratiepolitisches Problem werden. Die Crux ist: Viele können unter dieser Quantität, die heute möglich ist, aus Zeitmangel die Qualität nicht halten, nicht unter den gegebenen ökonomischen Möglichkeiten.
Wird sich nicht eben wegen dieser Quantität Qualitätsjournalismus durchsetzen?
Rohrer: À la longue sicher. Es gibt auch Signale, Weckrufe für die Jungen. Zum Beispiel gründet die ehemalige Chefredakteurin der »New York Times« (Jill Abramson, Anm.) eine Onlineplattform, wo sie für perfekte Geschichten 100.000 Dollar zur Verfügung stellen will. Wenn Sie als Journalist diese zündende Idee haben für die ganz tolle Geschichte, kriegen Sie dafür 100.000 Dollar! Damit lässt sich gut recherchieren. Aber: Wie bilde ich Journalisten aus, damit sie tolle Geschichten machen, in die Tiefe gehen können? Das ist entscheidend.
Sie haben ab 2005 beim Journalismus-Studiengang der FHWien der WKW mitgearbeitet. Was haben Sie gelehrt?
Rohrer: Wir haben mit einer Schreibwerkstatt im Keller begonnen, später ein wöchentliches, online veröffentlichtes Magazin in Echtzeit durchgespielt. Mit Redaktionssitzungen, Deadlines. Die Studenten mussten Bilder und Videos machen. Da waren einige sehr gute Studenten dabei, die danach auch viel erreicht haben.
Wie sehen Sie die Arbeitsmarktchancen für junge Journalistinnen und Journalisten?
Rohrer: Natürlich bietet dieser Beruf Perspektiven. Unter der einen ewigen Voraussetzung: Ich muss dafür brennen. Das ist nichts mit nine to five. Wenn ich gut sein will, muss ich bereit sein, die halbe Nacht bei einem Parteivorstand auszuharren. Oder mitten in der Nacht zu einem Feuer zu fahren. Vor allem für online, das muss gefüttert werden. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, das ist schon eine Anstrengung.
Print oder online, wo sehen Sie die Zukunft?
Rohrer: Es ist mir völlig gleichgültig, wo guter Journalismus stattfindet, Hauptsache, er findet irgendwo statt. Qualitätsjournalismus muss etwas bieten, was man woanders nicht findet. Ich bin überzeugt, dass die Leute bereit sein werden, dafür auch online zu bezahlen. Aber wie organisiere ich das? Das ist die große Frage. Irgendjemand wird irgendetwas erfinden, das dieses Problem löst. Sie zum Beispiel.
Vielleicht, ja.
Rohrer: Ihre Generation wird das erfinden. Dann werden wir wieder mehr guten, besonderen Journalismus finanzieren können. Ein Lesevergnügen, das Unterhaltung und Informationsgewinn, einen Vorteil für einige Leser bringt.
Investigativer Journalismus steht zu Whistleblower-Zeiten im Fokus, gilt in Österreich aber als schwierig, weil jeder jeden kennt. Was raten Sie jemandem, der für dieses Feld »brennt«?
Rohrer: Möglichst lange unbekannt zu bleiben. Die FPÖ-Knittelfeld-Geschichte ist nur aufgekommen, weil dort ein Journalist war, den kein Mensch erkannt hat. Ansonsten kommen investigative Geschichten oft zustande, weil jemand in einer Institution Interesse hat, dass etwas herauskommt, und sich dann zum Beispiel an den Florian Klenk (Enthüllungsjournalist und Chefredakteur »Falter«, Anm.) wendet.
Möglichst lange unbekannt bleiben: Das haben Sie nicht ganz geschafft.
Rohrer: Ja, das waren auch andere Zeiten. Aber die Bekanntheit bringt auch Vorteile. Bis in die Neunziger, bis zu Schüssel, wenn man da einen Namen gehabt hat als Journalist, hat man jeden Politiker ans Telefon bekommen.
Bekannte Journalisten und Journalistinnen können Ziel von untergriffigen Kommentaren werden. Ein Problem für Sie?
Rohrer: Das war immer die FPÖ. Aber ich finde das völlig in Ordnung. Wenn du austeilst, musst du auch einstecken. Die ÖVP verdächtigt mich seit Langem, eine Linke zu sein. Für die SPÖ gelte ich als ÖVP-nahe. Solange dich alle angreifen, ist es okay.
Ein Qualitätsmerkmal sogar?
Rohrer: Das weiß ich nicht. Aber es ist okay.
Sie haben zwei Bücher veröffentlicht. Ein Kontrapunkt zur Kürze der Social Media?
Rohrer: Nicht für mich. Ich bewundere Journalistenkollegen, die ein Buch nach dem anderen raushauen. Aber ich werde keines mehr schreiben. Nur unter Androhung von Folter. Man muss wissen, was man will und kann. Ich bin Tages-Journalistin. Immer gewesen. Mich monatelang für ein Buch einzusperren, passt nicht zu mir.
Welchen Stellenwert hat das Bloggen für Sie?
Rohrer: Mir geht die Überzeugung ab, dass ich täglich etwas absondern muss, weil die Blog-Leser angeblich täglich darauf warten. Es gibt männliche Kollegen, die sondern zwei, drei Mal am Tag ab. Das kann ich nicht. Wenn mich wirklich etwas ärgert, dann schreib’ ich einen Blog. Und verlinke das auf Facebook. Das funktioniert wunderbar. Aber nur, wenn mich ein Thema wirklich bewegt.
Wie wichtig ist Auslandserfahrung?
Rohrer: Unglaublich wichtig. Aber als ich noch an der FH war, war für viele der Traum: »Standard«, »Presse«, ORF. Oder zum »Kurier«, weil der hat eine gute Kantine. Geht doch zuerst in die deutsche Provinz! Und dann könnt ihr zurückkommen und mit dem Gelernten hier reüssieren. Manche Studenten sagten mir: Ja, aber Sie haben es damals leicht gehabt. Das stimmt! Aber eine Karriere, wo du als Junger wo reingehst und 30 Jahre später wieder raus – das findet nicht mehr statt. Und wir hatten all die Möglichkeiten nicht! Früher musstest du ja ganz knapp an der Blattlinie sein. Ich hatte nie ein Problem damit. Nur einmal wäre es kritisch geworden, während der Waldheim-Berichterstattung 1986. Da hatte ich mir zum Glück ein Sabbatical genommen. Ich weiß nicht, ob ich die Linie der »Presse« im Waldheim-Wahlkampf mittragen hätte können. Was hätte ich gemacht? Die Entscheidung ist mir erspart geblieben.
Ein Fall für Chancen-Denker: Eine Tür geht zu, zwei neue gehen auf.
Rohrer: Und das ist heute leichter als damals. Heute könnte ich – was weiß ich, vielleicht wie der Hufnagl vom »Kurier« – einen Bezahl-Blog (michael-hufnagl.com, Anm.) aufziehen. Es gibt heute einfach mehr Möglichkeiten.
Experten wie Joe Pulizzi schwärmen sogar von einer goldenen Ära, noch nie seien Journalisten und Journalistinnen so gefragt gewesen wie jetzt.
Rohrer: Die goldene, die wirklich gute Zeit wird für jene Journalisten anbrechen, die mit viel Fantasie das herausfinden, was andere nicht finden. Die Geschichten erkennen, die andere übersehen. Qualitäts-Geschichten, die Leser berühren, unterhalten und weiterbringen in ihrer gesellschaftlichen, sozialen Situation. Dazu brauchst du einen guten Riecher, sehr viel Ausbildung, viel Hintergrundwissen. Oder du musst ein investigativer Bluthund sein. Du musst gut sein, eine Nase haben, viel Einsatz liefern. Und du musst – und das ist auch wahnsinnig schwierig – integer sein. Und das Ganze immer mit Leidenschaft. Viel Vergnügen!
-
Cover Story: ... und es hat "Boom" gemacht
Wer ein Start-up gründet, träumt von einem boomenden Erfolg. Was aber, wenn dieser tatsächlich eintritt? von Wolfi RösslerWer ein Start-up gründet, träumt von einem boomenden Erfolg. Was… -
Im Interview: Anneliese Rohrer – „Du musst ein investigativer Bluthund sein“
Die Journalistin Anneliese Rohrer ist eine Kommentatorin, die sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Im Interview mit studio! erklärt sie, was für sie Qualitätsjournalismus ausmacht und für welche Journalistinnen…Die Journalistin Anneliese Rohrer ist eine Kommentatorin, die sich kein…