Die Semmeln beim Frühstück sind trocken; die Zugtoilette ist verstopft; der Taxifahrer fährt einen Umweg; die Erdbeeren im Supermarkt sind schimmlig. War man früher – in Zeiten vor Social Media und Buchungsplattformen – als KundIn unzufrieden, hatte man nur begrenzte Möglichkeiten, sich mitzuteilen: Man konnte einen Brief oder eine E-Mail an das Unternehmen schreiben oder bei einer oftmals kostenpflichtigen Hotline anrufen. Wann und ob man eine zufriedenstellende Antwort bekam, war schwierig abzusehen. Manche Firmen gaben ihr Bestes, andere nicht. Denn bis auf den KundInnen und sein direktes Umfeld würde praktisch niemand davon erfahren.
2017 sieht das ganz anders aus: Wer als KundIn eine positive oder negative Erfahrung macht, kann diese schnell und für alle sichtbar im Internet teilen. »In der heutigen Gesellschaft gibt es ein großes Bedürfnis danach, Bewertungen abzugeben und seine Meinung mitzuteilen. Kaufentscheidungen orientieren sich zunehmend an den Bewertungen anderer«, sagt Bernhard Strasser, Österreich-Manager bei Honestly und Absolvent der FHWien der WKW. Das Start-up ist auf neue Feedback-Technologien spezialisiert. Bevor wir eine Waschmaschine kaufen, wollen wir wissen, wie sie für andere wäscht; bevor wir ein Hotel buchen, wollen wir wissen, wie andere geschlafen haben.
Flut an Rückmeldungen
Ebenso sichtbar wie die Kommentare der KundInnen ist die Reaktion des jeweiligen Unternehmens. Betriebe mit hoher Kundenfrequenz – ob im Tourismus, im Handel oder im öffentlichen Verkehr – stehen somit vor der Herausforderung, eine Flut an Rückmeldungen handzuhaben. Im Falle von Lob ist es leicht, sich zu bedanken. Schwieriger ist es, mit Unmut umzugehen. »Gerade bei negativen Rückmeldungen muss man schnell handeln, damit die Frustration nicht zu groß wird«, sagt Ingrid Gogl, Leiterin des Bereichs Corporate Digital Media bei den ÖBB. Dies gilt besonders dann, wenn Kunden sich gegenseitig emotional »hochschaukeln« könnten. Bis zu 500 Kommentare werden im Fall einer Zugstörung auf der Facebook-Seite des Konzerns gepostet. Potenzial genug, um eine öffentliche Empörungswelle loszutreten. »Kommunikationskrisen entstehen selten, weil Kunden ein Problem mit einer Dienstleistung haben, sondern weil schlecht mit dem Feedback umgegangen wurde«, sagt Gogl.
Eine Grundregel in Sachen Kundenservice 2.0 ist daher, die Feedbackschleife zu Ende zu führen. Ein kurzes »Wir kümmern uns darum« wird die wenigsten zufrieden stellen. KundInnen wollen wissen, was ein Unternehmen tatsächlich unternimmt. Im Fall der ÖBB wird bei einer Oberleitungsstörung daher beschrieben, was genau passiert ist. Fotos werden gepostet, um zu zeigen, wie die Störung behoben wird. Wer sieht, wie Mitarbeiter sich um umgefallene Bäume kümmern, wird weniger wütend auf »die Bahn«. Ein achtköpfiges Team betreut bei den ÖBB die Social-Media-Kommentare, alle Rückmeldungen sind mit Namenskürzel gekennzeichnet. »Den Kunden ist wichtig, dass sie von Menschen betreut werden, die Mitgefühl zeigen«, sagt Gogl. Chatbots sind in Sachen Feedback noch rar.
Digitales Qualitätsmanagement
In kompetitiven Branchen wie etwa dem Hotelgewerbe kann öffentliches Feedback im Netz existenzentscheidend sein. »Hoteliers wissen, dass ihr Haus nicht mehr gebucht wird, wenn sie schlechte Bewertungen haben. Sie müssen daher strukturiert auf negative Kommentare reagieren«, sagt Markus Gratzer, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung. Er sieht die modernen Bewertungsmöglichkeiten nicht als Fluch, sondern als Segen, da sie zum Qualitätsmanagement beitragen. Spezielle Softwareprogramme ermöglichen es den Hotelbetreibern, die gesammelten Bewertungen auf den gängigen Portalen auszuwerten, um zu erkennen, wo die Schwachstellen liegen. Ist es die Sauberkeit, das Service oder das Essen, das gelobt oder bemängelt wird? Bessere Bewertungen ermöglichen es, höhere Preise zu veranschlagen und sind für kleine Häuser eine Chance, sich gegen bekannte Hotelketten durchzusetzen. »Im Internet stehen alle gleichermaßen im Rampenlicht«, sagt Gratzer.
Eine besondere Herausforderung – gerade in dieser Branche – ist, dass die Erwartungshaltungen der KundInnen stark voneinander abweichen. Der eine ist mit einem überschaubaren Frühstücksbuffet zufrieden, während sich der andere ein Angebot von Ananas über Lachs bis Prosecco erwartet. »Wirklich relevant sind Bewertungsergebnisse daher nur ab einer gewissen Anzahl von Bewertungen«, sagt Gratzer. KundInnen hätten in den vergangenen Jahren gelernt, Bewertungen zu interpretieren.
Sich nach einem Urlaub die Zeit zu nehmen, um Fragen zu beantworten und ein paar Zeilen über das Hotel zu schreiben, ist für viele den Aufwand wert – selbst wenn es darum geht, Schönes festzuhalten. »In gewisser Weise lobt sich der Kunde ja selbst dafür, dass er das richtige Hotel aus einem riesigen Angebot ausgewählt hat«, sagt Gratzer.
Unkompliziertes Feedback
Anders ist die Motivation nach ganz alltäglichen Erlebnissen. Die wenigsten haben Lust, sich abends an den Computer zu setzen, um zu bewerten, wie es beim Bäcker, beim Fleischer, auf der Post und im Fitnesscenter war. Immer öfter findet man daher Terminals im Kassen- bzw. Ausgangsbereich ausgewählter Geschäfte. Sie fragen schnell und unkompliziert die Zufriedenheit der Kunden ab. Manchmal ist es bloß ein Smiley-System: Grünes Lächeln, wenn man zufrieden war, rotes Schmollen, wenn man sich geärgert hat. »So können Tendenzen abgeleitet werden. Aber Firmen wissen nicht wirklich, wo sie ansetzen müssen«, sagt Bernhard Strasser. Die Terminals von Honestly, für die er in Österreich zuständig ist, haken daher noch nach: Wurde etwa das grüne Smiley gedrückt, folgen Fragen, warum genau man zufrieden war. Ein Terminal dieser Art steht etwa beim Gründerservice der Wirtschaftskammer Wien.
Schnelle Lösung für den Handel
Ob der Kunde oder die Kundin sich nach einem Einkauf an ein Terminal stellt, hängt natürlich von Zeit und Laune ab. »Alternativen bieten unsere Lösungen für Smartphones. QR-Codes auf der Rechnung können später gescannt werden und führen zu einem Feedbackformular«, sagt Strasser. Übersättigung und Unlust, weil man immer und überall nach der Meinung gefragt wird, befürchtet Strasser nicht: »Solange es kurz und unkompliziert geht, machen viele Menschen gerne mit. Außerdem ist es kein Muss.« Zusätzliche Anreize schaffen Gewinnspiele und Rabattgutscheine, die den Kunden zu einem nächsten Einkauf (ver-)führen.
Nicht nur die Meinungen von KundInnen rücken in Zeiten der Digitalisierung in den Vordergrund. Neue Tools eröffnen Möglichkeiten für den Feedbackaustausch am Arbeitsplatz. Im Oktober brachte Honestly die App »Engage« auf den Markt, die mit Unterstützung von Human-Resource-ExpertInnen entwickelt wurde. Mittels dieser App können MitarbeiterInnen wöchentlich ihre Zufriedenheit am Arbeitsplatz mitteilen: Dabei werden unterschiedliche Kategorien abgefragt – von Work-Life-Balance bis Arbeitsumfeld. »Continuous Listening, also das Zuhören, wie es den Mitarbeitern fortlaufend geht, wird für Unternehmen zunehmend wichtiger«, sagt Strasser.
Über sich selbst sprechen
Tools wie diese können sinnvolle Ergänzungen zum persönlichen Feedback sein, wie man es aus der Personalentwicklung kennt. Ob sie grundlegend etwas an der mangelnden Feedbackkultur in heimischen Unternehmen ändern werden, bleibt zu hinterfragen: Eine aktuelle Blitzumfrage der Gesellschaft für Personalentwicklung (GfP) im Sommer 2017 kommt zu dem Ergebnis, dass Feedback in Organisationen kaum gelebt wird. Nur 23 Prozent der befragten Führungskräfte gaben an, dass Feedback gefordert und gefördert wird. Bei den MitarbeiterInnen waren es nur fünf Prozent. Dabei bietet internes Feedback – ähnlich wie Kundenfeedback – Chancen fürs Unternehmen, ihre Stärken auszubauen. »Derzeit fokussieren Unternehmen leider zu stark darauf, wie sie Mitarbeiter für die jeweilige Position ›funktionierend‹ machen. Sie sind nicht neugierig, welche zusätzlichen Merkmale die Mitarbeiter mitbringen, und übersehen, welches Potenzial sie brachliegen lassen«, sagt GfP-Geschäftsführer Florian Stieger.
Es reicht nicht, wenn KundInnen über ein Unternehmen sprechen. Unternehmen müssen auch intern über sich selbst sprechen. »Feedback ist nicht Rocket Science«, meint Stieger: »Es ist schlichtweg eine Frage der Kultur, des Kontexts und der Routine.«
Unabhängig davon, ob Rückmeldungen von KundInnen oder MitarbeiterInnen kommen: Nur wer die Bedürfnisse des Gegenübers hört, kann auch darauf eingehen. Im Best Case heißt das: KundInnen kommen wieder, MitarbeiterInnen bleiben länger. Die Chancen, die sich hier durch neue technologische Möglichkeiten bieten, wiegen wesentlich schwerer als die Risiken.
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