Auf dem Schreibtisch stehen Kaffeehäferl mit lustigen Sprüchen, Fotos von der Familie, dazu noch Mitbringsel aus dem Urlaub. Daneben liegen Zettelberge, Stifte, Post-its, Telefon- und Computerkabel, vielleicht auch das restliche Mittagessen, an den Tischrand geschoben. Und am Nebenschreibtisch tratscht die Kollegin, während im ganzen Raum die Telefone ohne Unterlass klingeln.
Beim Wort »Büroarbeitsplatz« kommt vielen dieses oder ein ähnliches Bild in den Sinn. Doch ist das wirklich ein Arbeitsumfeld, das die Produktivität fördert und zeitgemäß ist?
Moderne Arbeitswelten sehen anders aus. Nicht nur, dass Unternehmen zunehmend ihre Angestellten dazu anhalten, Privates (und mancherorts auch Essen) vom Arbeitsplatz fernzuhalten. Immer mehr Personalabteilungen erkennen zudem, dass ein einziger, fixer Schreibtisch oftmals der falsche Ansatz ist für das Arbeiten im 21. Jahrhundert. Begriffe wie Desksharing und Homeoffice tauchen in den Medien auf. Gleichzeitig kursieren Bilder von Büros, in denen MitarbeiterInnen zwischendurch Tischfußball spielen oder sich gar ins Bällebad werfen. Die ultimative Verquickung von Freizeit und Arbeit.
Arbeiten in unterschiedlichen Zonen
Das sind freilich nur einzelne Facetten des Arbeitsumfelds der Zukunft. »Der Trend geht eindeutig hin zum Activity Based Working«, sagt Barbara Covarrubias Venegas, Researcher und Lektorin im Studienbereich Human Resources & Organization an der FHWien der WKW. Die Erforschung moderner Arbeitswelten zählt seit Jahren zu ihren Schwerpunkten: »Activity Based Working bedeutet, dass verschiedene Arbeitszonen eingerichtet werden, die speziell an den jeweiligen Aktivitäten ausgerichtet sind«, erklärt Covarrubias Venegas. So brauche es etwa Räume, in denen in Stille gearbeitet werden kann; Räume, in denen telefoniert werden kann; Räume, in denen Platz ist für kreatives Brainstorming. Das Großraumbüro, für das sich zahlreiche Unternehmen in den vergangenen Jahren entschieden haben, könne diese Bedürfnisse ebenso wenig befriedigen wie das kleinere, »altmodische« Mehrpersonenbüro.
Der Ansatz des Activity Based Working ist nicht vollkommen neu. »Die ersten internationalen Konzerne führten dieses Konzept vor etwa 15 Jahren ein«, berichtet Covarrubias Venegas. Inzwischen wenden sich österreichische Start-ups und Unternehmen diesem Modell zu, darunter auch die FHWien der WKW. Barbara Covarrubias Venegas und ihre KollegInnen können (und müssen) am Anfang eines jeden Arbeitstages entscheiden, in welche »Zone« sie sich setzen – abhängig von der jeweiligen Aktivität, der sie nachgehen.
Ein Headquarter statt 20 Standorte
Als vorbildhaftes Beispiel einer modernen Arbeitswelt gilt der Erste Campus der Erste Group Bank AG im zehnten Bezirk in Wien auf dem ehemaligen Südbahnhof-Areal. Rund 5.200 MitarbeiterInnen, die früher auf 20 Standorte verteilt waren, arbeiten nun in einem Headquarter zusammen, das ebenfalls nach den Prinzipien des Activity Based Working gestaltet ist.
»Natürlich haben wir uns auch andere Konzepte überlegt. Es war uns aber wichtig, dass wir die Kommunikation und Kooperation jenseits organisatorischer Grenzen stärken und den Wissensaustausch erleichtern. Activity Based Working ermöglicht dies. Außerdem war es uns ein Anliegen, ein Umfeld zu schaffen, das sich an den Aufgaben der MitarbeiterInnen ausrichtet, nicht an hierarchischen Strukturen und Statussymbolen«, erklärt Ursula Tavolato-Kuntner, Future Work Manager bei der Erste Group.
Hohe ergonomische Standards
Die MitarbeiterInnen am Erste Campus entscheiden täglich selbst, in welche Zone sie sich innerhalb ihrer »Home Base« setzen – offene Strukturen und Einrichtungen erleichtern die formelle und informelle Kommunikation, die zu den Bedürfnissen der Tätigkeit passt. »Da die Räumlichkeiten darauf ausgerichtet sind, häufig gewechselt zu werden, ist die Ausstattung ergonomisch auf dem höchsten Standard«, sagt Tavolato-Kuntner. Die Schreibtische sind elektrisch höhenverstellbar, ebenso einfach lassen sich die Bürostühle individuell anpassen. Es gibt Sitzecken und schalldämpfende Materialien, die für eine gute Akustik sorgen. »Schreiende Farben haben wir ausgeschlossen. Unsere Umgebung ist mit dem Schlossgarten des Belvedere und dem Schweizergarten sehr grün. Wir wollten die Farben der Natur in die Arbeitsbereiche hereinholen«, so Tavolato-Kuntner. So gibt es am Erste Campus auch eine 7.500 Quadratmeter große Gartenfläche, die zum Arbeiten einlädt.
Eine moderne und funktionale Einrichtung allein reicht allerdings nicht, um den Wechsel von einer alten, sehr traditionellen Arbeitsweise – also immer an demselben Schreibtisch, neben denselben KollegInnen – in eine flexiblere Arbeitswelt zu schaffen. »Menschen sind in der Regel Gewohnheitstiere, viele müssen erst umdenken«, weiß Expertin Barbara Covarrubias Venegas.
Bei der Erste Group wurde der Umzug durch Change-Management-Maßnahmen begleitet. »Die Flexibilität ist ein Angebot an unsere Mitarbeiter und soll kein Zwang sein. Natürlich übernehmen Führungskräfte hier eine starke Vorbildfunktion«, sagt Tavolato-Kuntner. Um das Miteinander und die Vernetzung zu fördern, bietet man bei der Erste Group Events, bei denen sich MitarbeiterInnen unterschiedlicher Abteilungen kennenlernen können. Auch die gesundheitlichen Vorteile dieser neuen Arbeitswelt versucht man stark in den Vordergrund zu rücken. Acht Stunden oder mehr an einem Arbeitsplatz zu sitzen, ist weder für den Körper noch für den Geist förderlich.
Activity Based Working setzt ein großes Maß an Selbstorganisation voraus. »Damit dieses Zonenmodell gut funktioniert, müssen MitarbeiterInnen sehr strukturiert sein. Sie müssen sich morgens überlegen: Woran werde ich heute arbeiten? Für viele ist das ein Umdenk- und Lernprozess«, sagt Covarrubias Venegas. Stündliches Arbeitsplatz-Hopping steigere weder Produktivität noch Kreativität. Sie selbst genießt es, dass sie sich an der FHWien der WKW jeden Tag einen anderen, passenden Arbeitsplatz aussuchen kann. »Ich muss lediglich meinen Laptop anstecken und kann überall meine Arbeiten erledigen«, so Barbara Covarrubias Venegas.
Papierberge in der Forschung
In der Forschung ist diese völlige Flexibilität allerdings nicht immer gefragt: Mancherorts genießt und benötigt man den eigenen, permanenten Schreibtisch. Die WissenschaftlerInnen des Research Clusters SMEs & Family Businesses der FHWien der WKW verfassen viele wissenschaftliche Journal-Beiträge. »In diese Arbeit beziehen wir zahlreiche Publikationen, Studien und Artikel mit ein. Da kann es schon vorkommen, dass sich Papierberge auf dem Tisch türmen«, so Christina Schweiger, Co-Head des Research Clusters. Sie teilt das Büro mit bis zu vier KollegInnen – in einem Nebengebäude der Fachhochschule. Zwar sind hier die Räumlichkeiten nicht wie im Haupthaus in Zonen geteilt, dennoch greift man häufig eine ähnliche Arbeitsweise auf und sucht sich einen Arbeitsplatz, der an die zu erledigende Tätigkeit angepasst ist.
Brainstorming im Park
»In der Wissenschaft arbeitet man sehr vernetzt. Wir sind in eine Scientific Community eingebettet und im Austausch mit ForscherInnen auf der ganzen Welt. Skype-Konferenzen kommen im Arbeitsalltag häufig vor«, gibt Schweiger Einblick in ihre Tätigkeit. Um diese Konferenzen zu führen, ohne dabei gestört zu werden oder andere zu stören, weicht man ins Besprechungszimmer oder gar in die Küche aus. Die aktive Forschung wird häufig draußen betrieben: Interviews werden mit ProbandInnen geführt, die Daten dann in den Laptop bzw. das Tablet eingegeben. Gelegentlich kommt es sogar vor, dass die WissenschaftlerInnen in den nahegelegenen Türkenschanzpark zum Brainstorming gehen. Als produktiv und motivierend hat sich vor allem das »Writing Retreat« bewährt. Jeden Dienstagvormittag kommen die WissenschaftlerInnen zu diesem Fixtermin im Besprechungsraum zusammen, um in Ruhe an ihren Forschungspapieren zu schreiben. »Wir schätzen es außerdem, dass wir im Homeoffice arbeiten können«, sagt Schweiger.
Die Arbeit im Homeoffice – in der Fachsprache auch Remote Working genannt – erlebt nach einem Hype wieder einen leichten Rückgang. »Einige große Unternehmen schaffen diese Arbeitsform sogar wieder ab«, berichtet Barbara Covarrubias Venegas. Sie selbst schätzt die Arbeitsmöglichkeit von Zuhause. »Ich blocke mir diese Tage oftmals schon Monate im Vorhinein, damit ich dann völlig konzentriert und ungestört arbeiten kann«, so die Organisations-Expertin. Denn selbst wenn man in einem hochmodernen Büro Zonen hat, die Ruhe versprechen, so bleiben Büros doch Orte, in denen man leicht abgelenkt wird.
Kreatives Homeoffice
Homeoffice ist nicht nur eine Option für Schreibtisch-ArbeiterInnen, sondern auch für Kreative. Eva Maria Schuster, heute Schmuckdesignerin und -produzentin, hat 23 Jahre in Büros gearbeitet, bevor sie sich mit der Kunst in die Selbstständigkeit wagte. In ihrer neuen Berufung ist ihr Zuhause zum Arbeitsplatz geworden. Gerade als Kreative genießt sie das Alleinsein und die Selbstbestimmung. »Derzeit kann ich mir eine Werkstatt außerhalb meines Zuhauses nicht vorstellen«, sagt die 47-Jährige. »Es passiert oft, dass ich nachts noch einmal aufstehe, um an einer Idee zu tüfteln.«
Immer wieder wird bei der Arbeit von zu Hause vor der Vereinsamung gewarnt. Schuster fühlt sich davon nicht betroffen. »Wie viel Austausch man braucht, ist Typsache. Wenn ich das Gefühl habe, dass mir Kontakt fehlt, gehe ich sofort hinaus, zum Sport oder zum Einkaufen.« In ihrer Einpersonen-Werkstatt spielt sich alles in einem Raum ab. »Ich habe einen riesigen Tisch, der zwei Meter lang ist. Je nach Bedarf liegen hier Perlen, Blüten und Arbeitsutensilien. Manchmal türmen sich aber auch die bürokratischen Aufgaben. Das muss sich vielleicht noch etwas einspielen«, meint Schuster. Für den Moment aber hat sie sich ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie produktiv, kreativ und zufrieden arbeiten kann.
Das entspricht der Arbeitsphilosophie der Zukunft – egal ob im Kleinstunternehmen oder im Großkonzern
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