Warum wollten Sie eigentlich Tafelschokolade herstellen?
Zotter: Ich komme aus der Kocherei und der Patisserie, da ist Schokolade halt ein Segment. Das habe ich mir damals ein bissl genauer angeschaut und bin draufgekommen, dass das eigentlich sehr beschissen geschmeckt hat. Es hat nur Milchschokolade ohne oder mit Nüssen gegeben. Es geht darum, einen neuen Markt zu finden. Ich hätte mich auch für Bettwäsche entscheiden können … Und wenn ich mir das jetzt so vorstelle, wäre das vielleicht noch lässiger gewesen. Aber klar, du musst Schokolade schon mögen – sonst machst du es nicht. Ich habe die Fantasie entwickelt, dass bei Schokolade viel mehr möglich sein muss.
Inwiefern?
Zotter: Mir ist schnell bewusst geworden, dass die Ursache, warum wir schlechte Schokolade essen müssen, in Südamerika liegt. Das Wichtigste ist nämlich der Kakaobauer. Wir haben das Pferd ganz normal aufgezäumt: mit Verbesserungen beim Produzenten anfangen, fairer Handel, dann Einstieg in die Bio-Landwirtschaft. Wenn etwas genial verlaufen ist in unserer Unternehmensgeschichte, dann war das die Analyse der Zusammenhänge. Meine Vision war nicht, in den fairen Handel zu gehen, damit wir netter sind. Mein Kalkül war zu sagen: Wenn wir auf Augenhöhe mit dem Kakaobauer kommen, der seine Arbeit gern macht, zur richtigen Zeit erntet und gut fermentiert – dann ist die Rechnung für mich schon aufgegangen. Dann habe ich guten Kakao und kann mit meiner Technologie geile Schokolade machen. Fair allein genügt nämlich nicht, das Produkt muss auch innovativ sein und gut schmecken.
Hatten Sie Vorwissen aus Ihren früheren Jobs?
Zotter: Manchmal ist es besser, nicht zu viel zu wissen. Ich sage immer: Bildet euch, ja, aber wenn der Tag kommt, wo es ins Berufsleben geht: Vergesst alles und denkt es neu. Ich habe vier Berufe gelernt, den des Chocolatiers aber nicht. Für Innovationen ist es wichtig, von der Seite zu kommen und nicht von vorne. Nehmen wir als Beispiel Brot: Wenn du bei einem Meister lernst und den Meister vergötterst, dann wirst du Brot nicht weiterentwickeln. Wenn du kein Bäcker bist, aber gerne Brot isst, dann könnte es sein, dass du geniale Brotsorten machst. Oder in meinem Fall halt Schokolade. Wenn du als Unternehmer glaubst, du musst alles wissen, dann wirst du gar kein Unternehmen gründen. Weil du dann Angst hast. Die, die wirklich Erfolg haben, sind die, die querdenken.
Warum kaufen Leute Ihre Schokolade?
Zotter: Das hat damit zu tun, dass wir Geschichten erzählen. Da kann man fragen, was ist eine Geschichte? Ist die von einer Marketing-Agentur erfunden? Oder sind es wahre Geschichten? Darum gibt es ja das Schoko-Laden-Theater und den essbaren Tiergarten. Beides ist die Übersetzung der Idee des fairen Handels, den sieht man ja nicht. Aber den Tiergarten, den kann ich mir anschauen und der ist kein Schmäh. Wir müssen beweisen, was wir behaupten. An diesem Punkt entscheidet sich, ob dein Produkt bleibt oder nicht. Wenn der Kunde am Regal steht und die Bilder gehen auf, dann wird er zur Zotter-Schokolade greifen, auch wenn sie teurer ist.
Sie sehen den Zustand der Wirtschaft sehr kritisch. Wo stehen wir heute?
Zotter: Es muss manchmal, es hilft nichts, ein altes Haus zerstört werden, um ein neues, modernes Haus bauen zu können. Man kann an ein Gebäude lange etwas anbauen – aber das wird dann nichts Neues sein. Wir hätten jetzt die Chance, den Green Deal zu machen, der von der EU ja vorgegeben wird. Und wir trauen uns nicht. Ich mache es, aber die Masse fehlt mir. Mir fehlt das Bekenntnis, das jetzt umzusetzen. Der Green Deal wird ein bisschen schmerzen, aber er wird nicht so schmerzvoll sein, wie es wird, wenn wir nichts tun.
Es geht also zu langsam?
Zotter: Als ich damals, als ich begonnen habe, in Nicaragua aus dem Flieger gestiegen und dann durch Managua gefahren bin, habe ich Folgendes gesehen: Auf der einen Seite der Straße nur Villen und Golfplätze, auf der anderen pure Armut. Der Kontrast, die Ungerechtigkeit – da läuft es mir heute noch kalt den Rücken hinunter. Das betreiben wir immer noch im großen Stil. Es scheint, als ob sich in den 30 Jahren nichts verändert hat. Die Bauern spritzen immer noch ohne Schutzkleidung Glyphosat und wissen gar nicht, was sie da tun. Diese Missstände haben mich damals dazu getrieben, in ein Business zu gehen und etwas zu verändern.
Was bedeutet es für Sie, nachhaltig zu produzieren?
Zotter: Ein richtiges Öko-Unternehmen erkennt man daran, dass es zu 100 Prozent öko ist. Dass es nicht nur eine Öko-Schiene neben der konventionellen gibt, wie es 95 Prozent der Unternehmen machen. Bei uns ist das gesamte Unternehmen zertifiziert. Zertifizierung ist wichtig, damit du weißt, wo du stehst. Das hilft uns irrsinnig. Mir geht es um das Ganzheitliche. Das empfehle ich. Dann ist es einfacher, Geschichten zu erzählen. Es ist ganz simpel: Du musst ehrlich sein, dann wirst du erfolgreich. Das Level dafür ist dort, wo du selber spürst, dass dein Handeln nicht mehr stimmig ist. Marketing braucht man nicht zu studieren, da gibt es nur einen Satz, der wichtig ist: Mach deine Marke nie schöner als sie ist, aber auch nicht hässlicher.
Wie geht es Zotter unter den aktuellen Umständen?
Zotter: Mir ist diese Krise egal, denn sie ist nicht da. Wir haben keinen Umsatzeinbruch, wir haben uns nur ein bisschen verändern müssen. Wir haben offenbar so einen Vertrauensvorschuss, dass wir von der Krise nichts bemerken. Wir sind ein zu 100 Prozent eigenfinanziertes Unternehmen. Darauf bin ich stolz. Das hat länger gedauert und dazwischen bin ich auch einmal pleitegegangen, weil ich keine Kompromisse eingegangen bin. Damals habe ich mir gesagt: Wenn es für ein Lebensmittel, das ich für richtig halte, keine Kunden gibt, dann muss es mich nicht geben. Das war ein schwerer Moment, aber darauf fußt der Erfolg von heute.
Beim Herstellen hochwertiger Schokolade kommt es auch viel auf Gefühl an. Ist es ein Herantasten?
Zotter: Ich habe erkannt, dass ich für Geschmack Talent habe. Produktentwicklung ist so eine Sache. Es ist wichtig, immer ein Risiko einzugehen. Man muss in einem Unternehmen auch zulassen, dass etwas entsteht. Irgendwann habe ich begonnen, Rezepte aufzuschreiben und nichts mehr daran zu verändern. Denn das Wichtigste an einem Produkt ist immer die Idee. Geschmacksrichtungen wie die »Bergl statt Ibiza«-Schokolade waren in drei Sekunden überlegt, innerhalb von zwei Wochen waren wir auf dem Markt und hatten riesigen Erfolg. Und diese Schokolade ist nie probiert worden. Ich bringe jedes Jahr 60, 80 neue Sorten heraus, davon sind zwei bis fünf wirklich genial. Die bleiben dann.
Sind Sie mit der Zeit besser geworden?
Zotter: Das Dumme am Älterwerden ist, dass du viel Erfahrung hast. Aber es ist auch super, weil du weißt, was funktioniert. Gewisse Fehler macht man kein zweites Mal. Darunter leidet aber die Innovation. Wir haben heuer das konservativste Sortiment aller Zeiten gemacht: keine Insektenschokolade, keine Kombinationen mit Blut. Nichts. Ich habe gewusst, jetzt brauche ich die Leute nicht schrecken. Die sind ohnehin verschreckt genug. Jetzt kann man sagen, der Zotter, das ist ein Raffinierter! Aber ist er besser geworden? Eigentlich hat er sich nur ein bisschen dem Markt angeglichen. Zum Glück gibt es meine Kinder im Hintergrund, die sagen: »Geh Papa, jetzt probieren wir etwas!« Darum ist Jugend so wichtig. Ich kann jetzt für die Sicherheit sorgen, ich habe lange genug riskiert.
Wie lange wollen Sie noch weitermachen?
Zotter: Ich bin jetzt bald 60. Ursprünglich habe ich geglaubt, aus dem Unternehmen hinauszugehen, wie man durch eine Tür hinausgeht. Dann sollen die Kinder weitermachen. Jetzt denke ich mir schon, dass man sich als Älterer mit seinem Wissen und seiner Erfahrung noch gut einbringen kann. Und wenn es nur für ein paar Stunden die Woche ist.
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