Franziska Tschinderle hat im Bachelor Journalismus & Medienmanagement studiert und 2015 abgeschlossen. Sie arbeitet nun als freie Journalistin und ist spezialisiert auf Magazinjournalismus. Ihre Themenschwerpunkte sind Menschenrechte, Flucht, politische Konflikte und gesellschaftliche Tabus.
Warum hast du dich damals für das Studium beworben?
Ich kam mit 18 direkt von der Matura und wusste wirklich nichts über die Medienbranche. Ich erinnere mich, dass mir der sichere und begleitende Einstieg in den Beruf wichtig war. Zu dieser Zeit habe ich für Musikmagazine Rezensionen über Popmusik und Film geschrieben. Mit dem Studium wollte ich einen ersten Einblick in die politische Berichterstattung bekommen.
Welche Praktika hast du im Rahmen des Studiums gemacht?
Ich habe zuerst bei „thegap“ in Wien und später beim Süddeutsche Zeitung Magazin in München gearbeitet. Es hat mir gezeigt, dass ich nicht mein Leben lang als Freie arbeiten will. Ich liebe es, mein Büro mit Anderen zu teilen, gemeinsam an Geschichten zu arbeiten. Storytechnisch haben mir die Praktika aber nicht viel gebracht. Ich habe mich auch nie wieder für eines beworben, weil man bei Praktika selten seine eigenen Projekte durchziehen kann. Wenn mich etwas interessiert, will ich nicht darauf warten müssen, bis mich jemand „von der Leine lässt“.
Was machst du jetzt und wie bist du dorthin gekommen?
Ich bin freie Journalistin und studiere im Master Geschichte an der Universität Wien. Bisher habe ich zum Beispiel im Datum, le Monde Diplomatique, taz, Vice oder dem Profil veröffentlicht. Mit dem Fotografen Martin Valentin Fuchs habe ich eine Art „Tandem“ gebildet. Unser Schwerpunkt ist der Magazinjournalismus. Uns interessiert es aber auch, wie man Reportagen, also Longreads, mit Fotostrecken, online abbilden kann. Größere Recherchen präsentieren wir auch in Ausstellungen. Für unsere Themenschwerpunkte, grob gesagt Menschenrechte, Flucht, politische Konflikte und gesellschaftliche Tabus, verbringen wir auch längerfristig Zeit mit unseren Protagonisten. Das ist einer der Vorteile, wenn man frei arbeitet. Wir haben zum Beispiel die syrische Familie eines ertrunkenen Flüchtlings auf dessen Begräbnis auf Lesbos begleitet. Oder zwei Wochen lang „erforscht“, wie das Leben von homosexuellen Jugendlichen im Kosovo aussieht. Zuletzt haben wir in einem Altenheim in Moldau gelebt.
Was ist dir von der FH in Erinnerung geblieben?
An der Uni Wien gibt es eine große Anonymität. An der FH gab es immer eine Ansprechperson, an die ich mich wenden konnte. Auch das Verhältnis zu den LektorInnen war persönlicher. Auf der FH lernst du Praxis, auf der Uni Theorie und (in meinem Fall) geschichtswissenschaftliche Inhalte.
Welche Lehrinhalte von der FH kannst du in deinem jetzigen Job gut gebrauchen?
Global studies, Schreibwerkstatt, Österreich als Medienlandschaft, Urheberrecht, multimediale Inhalte. Aber auch Vorlesungen über das österreichische Rechtssystem und das Zusammenspiel der EU Institutionen. Was mir gefehlt hat, waren geopolitische Schwerpunkte und Geschichte. Ein Fachstudium anzuhängen war mir deswegen wichtig.
Hat sich dein Berufswunsch, den du als Erstsemestriger hattest, erfüllt?
Ja, weil ich immer politische Reportagen schreiben wollte, die globale Ungerechtigkeiten behandeln. Zu kämpfen habe ich natürlich mit der Finanzierung. Medien haben immer weniger Budget für Freie. Wenn ich kein Stipendium habe, muss ich Auslandsrecherchen mit meinem Honorar decken. Notsituationen machen erfinderisch. In der heutigen Zeit braucht man Durchhaltevermögen und Begeisterung für die eigenen Geschichten, dann geht alles. Indem man Recherchen crowdfunden lässt, sich für Stipendien bewirbt, Abgeordnete begleitet oder mit NGOs zusammenarbeitet. Kooperationen sind okay, solange sie die eigene Unabhängigkeit zulassen.
Wie erlebst du die (österreichische) Medienlandschaft und wie wird sie in 20 Jahren aussehen?
Ich habe sie schon immer als sehr konzentriert erlebt. Ganz besonders der Magazinmarkt. Je konzentrierter der Markt, desto härter der Wettbewerb. Je mehr Medien unter einem Dach, desto weniger Diversität. Besonders schwer ist das für den Nachwuchs. Aus Angst, die Chance auf eine Fixanstellung zu verpassen, lassen sich Junge viel zu früh in Redaktionen drängen. Oder sie schreiben Blog-Einträge darüber, wie mies das Geschäft ist. Damit füttern sie höchstens die Journalistenblase selbst. Was mir in Österreich fehlt, sind junge journalistische Startups, die mit etablierten Medien auf Augenhöhe arbeiten. Die Szene der Freien ist sehr begrenzt. Es ist schwieriger, als Freelancer auf eine Pressereise mitzufahren, einen Preis zu gewinnen oder ein Stipendium zu bekommen. Ich wünsche mir eine Förderlandschaft abseits von Politik und Interessensgemeinschaften. RezipientInnen, die progressive journalistische Projekte schätzen, sollten einsehen, dass das Internet kein Selbstbedienungsladen ist. Um diese Menschen zu fesseln, müssen wir wieder erfinderisch werden. Eine Geschichte darf nicht mehr nur eine A4 Seite oder ein 3 Minuten Beitrag sein. Uns, der Generation „Oversharing“, wird angehängt, dass wir in der Informationsflut nur noch oberflächlich selektieren. Aber es kommt eben drauf an, wie du eine Geschichte verarbeitest. Ich habe das letzte Jahr auf Lesungen in Österreich und Bayern immer dieselbe Reportage vorgelesen. Und immer waren Leute dabei, die im Internet noch nichts davon gehört haben. Journalismus muss wieder Themenabende, Diskussionen, Ausstellungen und Workshops organisieren, um solche Leute zu erreichen.
Welche Fähigkeiten muss ein/e JournalistIn in Zukunft haben?
Einige Fähigkeiten werden sich nie ändern: Neugier, Eigeninitiative, Sorgfalt, Menschenkenntnis. Angesichts des steigenden Wettbewerbs sind auch ethische Gesichtspunkte immer wichtiger. Wir dürfen niemanden ins Rampenlicht zerren, der das nicht möchte. Wir müssen bereit sein, Chancen zu verpassen, um Menschen damit zu schützen. In Zukunft müssen JournalistInnen lernen, sich noch tiefer in Themenkomplexe einzuarbeiten, um sich von gratis Meldungen abzuheben. Fachwissen, Hintergrund, Analyse und der lange Atem wird es ausmachen.
Worauf können JournalistInnen in Zukunft getrost verzichten?
Auf der FH habe ich oft den Satz gehört: „Vergiss Print. Vergiss den Magazinjournalismus“. Heute ist es eine Ausnahme, wenn ich eine Geschichte nur für Online schreibe. Verzichten können wir auf die Angstmacher. Als ich mein Studium begonnen habe, lag eine apokalyptische Stimmung in der Luft, die sich zumindest für mich nicht bewahrheitet hat.
Wo bzw. wie siehst du deine persönliche Zukunft im Journalismus?
Dritte Seite, Reportage, Dokumentation, Krisenberichterstattung. Ich sehe mich noch einige Jahre als Freelancerin. Ich möchte alternativen Finanzierungsmodellen eine Chance geben, bevor ich einen Job annehme. Eine gute Geschichte braucht Zeit, die Redaktionen offenbar nicht mehr bereitstellen können. Langes Beobachten, Befragen und Begleiten, das ist für mich die Quintessenz einer überzeugenden Reportage.